Depressionen und Selbstmordgedanken in der dunklen Jahreszeit

Dr. Udo Polzer: Angehörige sollten bei Verdacht das vertrauensvolle Vier-Augen-Gespräch mit den Betroffenen suchen

Mann Depression
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Viele Menschen, die im Herbst oder Winter unter Schwermut leiden, versuchen sich die dunkle Jahreszeit mit Lichtern, Kerzen und einem behaglich warmen zu Hause erträglich und angenehm zu gestalten. Dieser Winter, so glaubt Dr. Udo Polzer, Ärztlicher Direktor des Asklepios Fachklinikums Stadtroda, könnte zur Herausforderung werden.

„Infolge von Ukraine-Krieg und Energie-Krise sind wir dazu angehalten, Gas und Strom zu sparen. Gerade für Menschen, die an Depressionen leiden oder Suizid-Gedanken haben könnte eine dunkle und kalte Wohnung schwierig werden, zumal die Straßenbeleuchtung bereits jetzt reduziert ist und die weihnachtliche Beleuchtung in den Städten sicher deutlich geringer ausfallen könnte als in den Vorjahren“, befürchtet der Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen.

Seit Beginn der Corona-Pandemie erfahren die Menschen eine Verunsicherung der gesellschaftlichen Entwicklung, die durch den Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Ängste vor Engpässen in der Versorgung mit Wärme und Licht, noch einmal gesteigert wurde. Dr. Polzer vermutet, dass dieser Winter für Menschen mit Selbstmord-Risiko schwierig werden könnte, insbesondere dann, wenn ihre wirtschaftliche Situation angespannt sei.

Das Thema Suizid sei ohnedies noch immer weitgehend tabuisiert. Dabei nehmen sich pro Tag im Durchschnitt 30 Menschen in Deutschland das Leben. Etwa 600 Menschen hierzulande unternehmen pro Tag den Versuch ihrem Leben ein Ende zu setzen.  „Damit sterben in Deutschland jährlich mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen, Mord und AIDS zusammen“, unterstreicht Dr. Polzer. Weltweit ist Suizid die zweithäufigste Todesursache in der Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen.

Dennoch wird Suizidalität nicht als ein Hauptproblem der öffentlichen Gesundheit eingestuft, obwohl Suizide eine große Auswirkung auf die Hinterbliebenen haben und obwohl sich durch frühzeitige Hilfe, Intervention und Prävention Selbstmorde verhindern lassen. Ein Schritt in die richtige Richtung ist das „Netzwerk Suizidprävention in Thüringen“ („NeST“), dem Dr. Polzer gemeinsam mit Kollegen des Universitätsklinikums Jena und der Thüringenkliniken Georgius Agricola in Saalfeld angehört.
Ziel des vom Bundesforschungsministerium finanzierten Präventionsnetzwerkes „NeST“ ist es die Ursachen von Selbsttötungen zu bekämpfen. „Die Patienten, die nach Suizidversuchen zu uns ins Klinikum kommen, werden in das Programm aufgenommen“, erklärt Chefarzt Polzer: „Es werden einerseits die Beweggründe erfasst, also das, was den Patienten dazu motiviert hat, sich das Leben nehmen zu wollen. Andererseits erfassen wir, wie und wo der Patient sein Leben beenden wollte.
 Es geht also letztlich auch darum, bestimmte Hot Spots ausfindig zu machen und etwa durch Netze zu sichern.“ Als Hot Spots werden in diesem Zusammenhang bestimmte Plätze bezeichnet, an denen sich bereits mehrere Selbstmorde oder Suizidversuche ereignet haben.
„Patienten, die Suizidversuche dort überlebt haben, berichten oft im Nachhinein, dass das alles aus einem sehr spontanen Impuls entstanden sei, und sie sich schon in dem Moment, als sie gesprungen waren, klar darüber wurden, dass sie sich eigentlich nicht umbringen wollten“, berichtet Dr. Polzer. Er geht unter anderem davon aus, dass viele Verkehrsunfälle in Wahrheit Selbstmorde sind.
Besonders gefährdet sind Menschen, in deren Familie sich bereits Selbstmorde ereignet haben oder die unter psychischen Erkrankungen, wie etwa unter Depressionen leiden. Weitere Risikofaktoren sind akute Krisensituationen, wie Trennung oder Job-Verlust. Kommen alle drei Komponenten zusammen, ist die Gefährdung besonders hoch. Als Faktoren, die sich bei gefährdeten Personen schützend auswirken, gelten familiärer und sozialer Rückhalt, eine gute medizinische und psychologische Versorgung, gute Arbeitsverhältnisse sowie finanzielle Sicherheit.
Angehörige, die befürchten, ein nahestehender Mensch könnte selbstmordgefährdet sein, sollten dies laut Dr. Polzer vertrauensvoll unter vier Augen ansprechen. Es ist wichtig, den Betroffenen Nähe und Hoffnung auf eine Veränderung der belastenden Situation zu geben, ohne aber falsche Versprechungen zu machen.
Besonders nach einem Suizidversuch sollte unbedingt ein Krankenhaus-Aufenthalt erfolgen. Zum einen gilt es, akutes Suizidverlangen medikamentös zu unterbinden. „Im Rahmen einer Verhaltenstherapie können darüber hinaus bestimmte Skills erlernt werden. Das sind Maßnahmen, die die Patienten ergreifen können, wenn die Suizidgedanken erneut auftreten“, erklärt Dr. Polzer.

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