Der Kittel kommt bei Asklepios an den Nagel

„Asklepios schafft als erster Klinikbetreiber in allen Kliniken den Arztkittel am Patientenbett ab“ lautete die Überschrift unserer Pressemitteilung vom 1. Februar 2016. Diese Ankündigung hat bundesweit zu einer außergewöhnlich großen Aufmerksamkeit für das Thema Patientensicherheit geführt. Die Reaktion der Medien, der Öffentlichkeit, aber auch der Fachwelt auf unsere Initiative ist - bis auf wenige Ausnahmen - durchweg positiv.


Nichtsdestotrotz gibt es allerorts Standesvertreter, die den Kittel nicht an den Nagel hängen mögen. Verteidiger des langärmligen Visitenmantels argumentieren gern mit einem Placebo-Effekt, also der angeblich ­positiven Wirkung des Arztkittels auf den Genesungsverlauf des Patienten.  Nicht selten wird der Kittel auch als Statussymbol gerühmt, der den Arzt optisch unverkennbar von der Pflegekraft abhebe.  Einzelne Krankenhäuser ließen verlauten,  dass ihr Hygieneschwerpunkt auf der Händedesinfektion liege – als ob das eine zu tun das andere zu lassen bedeuten würde. Und wieder andere verwiesen darauf, dass ihre Ärzte ohnehin angehalten seien, vor der Behandlung des Patienten den Kittel abzulegen und meinem damit, dem Risiko einer Keimübertragung Genüge getan zu haben.
 
Ganz aktuell hat etwa die Delegiertenversammlung der Ärztekammer Hamburg Asklepios aufgefordert, die Entscheidung, den traditionellen Arztkittel abzuschaffen, „zu überdenken“ (Pressemitteilung vom 12.04.2016).  Das Hauptargument: Der Arztkittel schaffe „Vertrauen und Orientierung“ und vor allem ältere Patienten würden verunsichert, „weil sie die Ärzte nicht mehr sofort als solche erkennen können“.  Zudem habe „bislang in keiner Studie gezeigt werden“ können, „dass Arztkittel stärker verunreinigt sind als kurzärmelige Arbeitskleidung.“
 
Uns geht es um Hygiene und Patientensicherheit. Vor jedem Patientenkontakt müssen Hände und Unterarm bis zum Ellenbogen hinauf desinfiziert werden. Das gelingt mit Kurzarmbekleidung sehr viel zuverlässiger als mit einem Kittel, der im Zweifel am Patientenbett doch nicht ausgezogen wird. Für uns ist die Resolution der Delegiertenversammlung der Ärztekammer Hamburg daher nicht nachvollziehbar. Selbstverständlich wird der Arzt bei Asklepios auch in Zukunft als solcher erkennbar bleiben, auch wenn damit zum bislang gewohnten Bild eine Umstellung notwendig ist. Und auch die Erkenntnisse zum Keimbefall an langärmeliger Arztkleidung sind sehr viel klarer, als manch ein Standesvertreter es hierzulande einräumen möchte. Eine ganze Reihe von Publikationen aus den vergangenen Jahren beschäftigt sich mit dem Thema und gibt die kritische Position der WHO gegenüber Arztkitteln wieder. So greift etwa das Hand Hygiene Australia Coordinating Centre in seiner Hygiene-Empfehlung aus dem Jahr 2013 die kritische Haltung der Weltgesundheitsorganisation zum Arztkittel auf. Darin heißt es unter anderem: „Some Hand Hygiene Culture Change Programs advocate a ‘Bare below the Elbows’ policy for all HCWs. Whilst there is currently limited evidence to promote this as a formal recommendation, WHO recommend that long sleeves be avoided. Long sleeves have been found to be contaminated with pathogens, and can impede appropriate hand hygiene.“
 
Und auch in ihren „ Guidelines on Hand Hygiene in Health Care“ (2009) warnt die WHO vor den Gefahren einer Übertragung von Keimen von Arzt/Pflegekraft zu Patient und schreibt: „The figure intentionally shows that long-sleeved white coats may become contaminated by microorganisms during patient care. Although evidence to formulate it as a recommendation is limited, long sleeves should be avoided.“ (S. 17)
In ihrer Empfehlung „Infektionsprävention im Rahmen der Pflege und Behandlung von Patienten mit übertragbaren Krankheiten“ von 28. September 2015 verweist auch die „Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut auf Studien, die auf die Hygiene-Risiken langärmliger Arztkittel hinweisen. Zu einer offiziellen Empfehlung können sich die RKI-Experten leider nicht durchringen, weil der Beweis einer Übertragung der Keime vom Ärmel auf den Patienten nicht erbracht sei. Das Fehlen eines eindeutigen Beweises für die Übertragung ist aus unserer Sicht bei diesem einfach nachvollziehbaren Zusammenhang allerdings keine stimmige Begründung, weiterhin an langen Ärmeln festzuhalten. Der Beweis ist aus methodischen Gründen schwierig und es bestehen Zweifel, ob eine Ethikkommission einer solchen Studie zustimmen würde. Das ändert aber nichts daran, dass im Grunde jedem der Übertragungsweg einleuchtet.
 
Beispielsweise antwortete Dr. Arne Simon, stv. Vorsitzender der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des RKI, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur „pressetext“ klar auf die Frage  „Aber wie wahrscheinlich ist eine Übertragung mit dem MRSA-Keim durch die Kittel überhaupt?“ mit: „Eine Übertragung von Krankheiten auf diese Weise ist sehr leicht möglich“. Simon fordert daher, „die weißen Kittel ganz abzuschaffen und durch tätigkeitsbezogene Schutzkittel zu ersetzen. Sie werden ohnehin zu selten gewechselt und haben keine rationale Schutzfunktion“.  Und weiter steht in dem Bericht: „Das bestätigt auch die Untersuchung der israelischen Forscher. 18 Prozent der Studienteilnehmer gestanden nämlich, ihre Arbeitskleidung zum Teil nur einmal pro Woche zu wechseln.“
 
Unsere Haltung ist daher so einfach wie klar: Uns geht es um Hygiene und Patientensicherheit. Was liegt also näher, als  den Arztkittel durch eine Kurzarmbekleidung zu ersetzen?  Für uns gibt es daher überhaupt keinen Anlass, von der Abschaffung des Arztkittels abzuweichen. Und schlussendlich sei noch einmal darauf hingewiesen, dass in Ländern wie den Niederlanden oder Großbritannien, die das Thema Hygiene und Patientensicherheit nachweislich sehr ernst nehmen, der langärmlige Arztkittel längst abgeschafft wurde. Und gerade die Niederlande gelten als Vorbild in Sachen Infektionsprävention gerade bei der Bekämpfung von schwierigen Krankheitserregern wie MRSA. Wir glauben nicht, dass sie beim Kittel plötzlich falsch liegen.
 
 
Quellen/Literaturliste:
 
„Arztkittel sind Bakterienschleudern. Experte fordert: Weiße Uniform abschaffen!“, Internet: http://www.pressetext.com/news/20110901004
 
Hand Hygiene Australia (HHA). Hand Hygiene Australia Manual. Australia: HHA, 2013. Internet:  www.hha.org.au/UserFiles/file/Manual/HHAManual_2010-11-23.pdf
 
Treakle, A.M.; Thorn, K.A.; Furuno, J.P.; Strauss, S.m.; Harris, A.D.; Perencevich, E.N.; „Bacterial contamination of health care workers’ white coats“, American Journal of Infection Control. 2009, 37(2), 101-105. Internet: www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2892863
 
Wiener-Well, Yonit et al., „Nursing and physician attire as possible source of nosocomial infections“,  American Journal of Infection Control, September 2011, Volume 39, Issue 7, 555–559. Internet: http://www.ajicjournal.org/article/S0196-6553(11)00117-9/pdf
 
„Infektionsprävention im Rahmen der Pflege und Behandlung von Patienten mit übertragbaren Krankheiten Empfehlung der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) beim Robert Koch-Institut“, Bundesgesundheitsblatt  2015, 58:1151–1170, Online publiziert am 28. September 2015. Internet: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Krankenhaushygiene/Kommission/Downloads/Infektionspraev_Pflege_Diagnostik_Therapie.pdf?__blob=publicationFile
 
World Health Organisation. WHO Guidelines on Hand Hygiene in Health Care. In: World Alliance for Patient Safety, editor. First Global Patient Safety Challenge Clean Care is Safer Care. 1 ed. Geneva: World Health Organisation Press; 2009. Internet: http://apps.who.int/iris/bitstream/10665/44102/1/9789241597906_eng.pdf

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