Podiumsdiskussion Hygiene am ACH

Im Rahmen der traditionellen Abschlussveranstaltung der Vorlesung Hygiene II für die Studierenden des 8. Semesters am Asklepios Campus Hamburg der Semmelweis Universität (ACH) diskutierten die Podiumsmitglieder am 29. April das Thema „Hausärztliche Versorgung in Hamburg - Herausforderungen der Sicherstellung“.


Podiumsdiskussion Hygiene am ACH
Dr. Jochen Kriens (KV), John Afful (KV HH) und Katrin Herbst (Ersatzkassen HH, v.l.n.r.)

Dr. Jochen Kriens, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hamburg, Dozent des Blockseminars und gleichzeitig Organisator der Podiumsdiskussion, begann die Abschlussveranstaltung seiner Vorlesung mit einem großen Lob an alle Hausärzt:innen: Sie hätten in Pandemie-Zeiten durch Versorgung, Aufklärung und Impfung zusätzlich Enormes geleistet. Im gleichen Atemzug benannte er die zentralen Probleme des Berufsstandes: Die flächendeckende hausärztliche Versorgung sinke, gleichzeitig sage unter dem ärztlichen Nachwuchs niemand explizit, dass er oder sie Hausärzt:in werden wolle. Außerdem führten auch in Hamburg eine extreme Budgetierung und die schleppende Nachbesetzung in prekären Wohngegenden zu einer Unterbesetzung. Darüber hinaus gebe es immer mehr Medizinische Versorgungs-Zentren (MVZ), die auch Hausarzt-Praxen aufkauften und in Fachpraxen (z.B. für Diabetologie) umwandelten.

Seine Motivation, alljährlich diese Veranstaltung auf die Beine zu stellen, begründete Dr. Kriens so: „Für mich ist sie immer wieder der Höhepunkt der Vorlesung. Diese Diskussionsrunde mit Vertreter:innen verschiedener Gesundheitsinstitutionen dient nach der Theorie der letzten Stunden dazu, die Praxisrelevanz des Gelernten anschaulich und den Meinungsbildungsprozess im Gesundheitswesen deutlich zu machen. Heute ist das Ziel der Runde herauszuarbeiten, was neben den Problemen das Schöne an einer hausärztlichen Tätigkeit ist, die eine hohe gesellschaftliche Legitimation hat und gerade auch durch die hohen Gestaltungsmöglichkeiten eine so erfüllende Tätigkeit darstellen kann.

Die Rahmenbedingungen in Hamburg beschrieben zunächst John Afful, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KV HH), und Katrin Herbst, Leiterin der Landesvertretung Hamburg des Verbands der Ersatzkassen. Der KV-Vorsitzende machte sich vor allem für den Gedanken stark, dass eine hausärztliche Versorgung wohnortnah erhalten bleiben müsse. „Corona hat noch einmal gezeigt, wie wichtig die hausärztliche Versorgung in einer Entfernung von einer U-Bahn bzw. drei Busstationen ist. Da Ärztinnen und Ärzte oft dort bleiben, wo sie herkommen, und Praxen selten umziehen, ist es auch unsere Aufgabe, einen Blick auf Stadtentwicklung zu werfen und zu überlegen, wie sich einzelne Stadtteile auf Sicht entwickeln können.“ Katrin Herbst hob als zentrales Element der Gesundheitsversorgung hervor, dass alle gesetzlich Versicherten gut hausärztlich versorgt sein müssten. Hamburg stünde zwar zahlenmäßig gut da, aber die Praxen seien nicht immer dort, wo sie gebraucht würden.

Leidenschaftliche Plädoyers

Podiumsdiskussion Hygiene am Asklepios Campus Hamburg
Hausärzte Dr. Mike Müller-Glamann, Dr. Bastian Steinberg und Peter Zamory

Die erste konkrete Frage, warum sie denn überhaupt Hausärzte geworden seien, beantworten die drei Vertreter ihres Fachs mit persönlichen, teils amüsanten und durchgängig leidenschaftlichen Plädoyers für ihren Berufsstand. Womöglich stand zu Beginn der 90-minütigen Veranstaltung die eigene Hausarztpraxis nicht gerade auf Platz eins der beruflichen Wunschliste der zuhörenden Achtsemester:innen vom ACH. Die zahlreichen (Zwischen-)Fragen ließen aber vermuten, dass die Statements und die spätere lebhafte Diskussion doch den einen oder die andere zum Nachdenken gebracht haben.

Hier einige Auszüge aus den Antworten:

Dr. Mike Müller-Glamann, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und 2. Vorsitzender des Hausärzteverbandes Hamburg: „Das Schöne an diesem Beruf ist die Abwechslung. Er ist vielfältig und ganz anders als eine Arbeit im Krankenhaus. Das Hausarztdasein ist nicht etwa der Weg für die, die es im Krankenhaus nicht geschafft haben. Es ist extrem befriedigend und auch finanziell eine sichere Bank. Die wirtschaftliche Situation in Bramfeld, wo meine Praxis liegt, ist viel besser, als z.B. Eppendorf. Die Mieten sind geringer und die Praxen dadurch größer. Ja, ich habe viel weniger Privatpatienten – aber die sind oft viel anstrengender als Kassenversicherte aus Bramfeld. Allerdings ist der Alltag nichts für Feiglinge – man weiß tatsächlich nie, wer als nächstes kommt. Dafür begleitet man viele Patientinnen und Patienten ein Leben lang.“

Dr. Bastian Steinberg, niedergelassener Arzt: „Meine Überzeugung stammt aus Goethes Faust Teil I: „Greift nur hinein ins volle Menschenleben, das, was Ihr packt, ist interessant.“ In diesem breiten Spektrum fühle ich mich wohl. Im fachärztlichen Bereich der Klinik kommen Sie nicht in Berührung mit dem Sterben. In meinem Bereich machen Sie alles: Sie lindern Leid, trösten, begleiten, wenden sich den Patientinnen und Patienten mit Ihrem menschlichen Können zu. Sie brauchen dafür die höchste Qualifikation in der Breite, Kenntnisse von Krankheiten und Krankheitsverläufen und ein gutes Gespür für Menschen. Kurz: Hier können Sie wirklich Arzt sein. Und das bei Menschen aus vielen Kulturen, die mit ganz unterschiedlichen Erwartungen kommen. Ich bin seit 40 Jahren völlig frei und empfinde meine Arbeit als erfüllte ärztliche Tätigkeit. Die einzigen, die mir was tun können, ist der liebe Gott, das Finanzamt - und die KV. Außerdem habe ich für mich die perfekte Work-life-balance gefunden – wir müssen die vorgeschriebenen Versorgungszeiten von 30 Stunden arbeiten, ich habe aber so viel Spaß daran, dass ich das gleich zweimal pro Woche mache! Aber: Auch mit einem normalen Einsatz und guter Selbstorganisation ist es möglich, das Gehalt eines Oberarztes in der Klinik zu erzielen, aber dabei viel mehr Freiheiten zu haben.“

Peter Zamory, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und Vorsitzender des Gesundheitsausschusses der Hamburger Bürgerschaft (Bündnis 90/Die Grünen): „Ich gehe heute noch jeden Tag gern in die Praxis und freue mich auf Patientinnen und Patienten ebenso wie auf mein Team oder die beiden Kollegen dort. Wir können nicht jeden Patienten heilen. Das darf man aber nicht als narzisstische Kränkung empfinden, sondern als persönliche Herausforderung. Jeder Fall gleicht einer Sortierung zwischen ernst und weniger ernst. Man muss seine eigenen Grenzen kennen, auch mal andere um Rat fragen oder zum Fachkollegen oder zur Fachkollegin überweisen. Viele Hausärztinnen und Hausärzte werden in den nächsten Jahren aufhören. Leider scheuen manche, die nachkommen könnten, die Investition und entscheiden sich z.B. für eine Anstellung in einem MVZ. Das Finanzielle aber ist meiner Erfahrung nach gut leistbar.“ 

Denkanstösse auch von den Studierenden

Podiumsdiskussion Hygiene am Asklepios Campus Hamburg
Blockseminar und Podiumsdiskussion sind für die Studierenden des 8. Semesters konzipiert.

Mit der zweiten Frage, warum aktuell immer mehr Patient:innen nicht zunächst eine:n Hausärzt:in, sondern häufig direkt eine:n Fachärzt:in aufsuchten, richtete sich Dr. Kriens wieder an das gesamte Podium. Während Dr. Steinberg beklagte, dass Hausärzte mittlerweile den Ruf eines „Heilpraktikers deluxe“ hätten („Wer richtig behandelt werden möchte, denkt, dass er oder sie lieber direkt zum Facharzt oder zur Fachärztin gehen muss.“), betonte Katrin Herbst, wie wichtig es trotzdem sei, dass alle Patient:innen die Wahlmöglichkeit hätten. „Aber dabei muss immer die ganzheitliche Betrachtung im Zentrum stehen“, ergänzte die Ersatzkassen-Vertreterin. „Daher ist es uns wichtig, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten über Jahrzehnte kennen. Bei Fachärztinnen oder – ärzten gibt es zwar eine spezifische Behandlung, aber der persönliche Hintergrund ist häufig nicht bekannt. Gerade junge Menschen haben häufig keine:n Hausärzt:in mehr, dabei sind sie doch als Generalistinnen und Generalisten so wichtig.“ Ähnlich argumentierte auch Peter Zamory: „Gerade bei polymorbider Erkrankung ist es wichtig, eine Lotsin oder einen Lotsen zu haben, der oder die zum Beispiel bei zahlreichen Medikamenten Prioritäten setzt. Um gerade auch migrantische Patientinnen oder Patienten gut behandeln zu können, setzen wir immer mehr darauf, gezielt Auszubildende aus Afghanistan, Ägypten oder anderen Ländern als MTA (Medizinisch Technische Assistenten) zu gewinnen – denn die MTAs sind die Visitenkarte einer Praxis.“

Bei der letzten Frage, wie das Image der Hausärzte verbessert werden könne, meldeten sich auch die Studierenden zu Wort. Zunächst betonte John Afful, dass das Thema Digitalisierung ein großes Stichwort sei. „Warum kann ich nicht abends um 19 Uhr im Video-Chat meine Hausärztin anrufen können, wenn ich ein medizinisches Problem etwas habe? An diesen flexibleren Arbeitsmethoden sind wir dran“, versprach der KV-Vorsitzende. Katrin Herbst schlug einen anderen Ansatz vor: „Wir fragen uns immer wieder, ob es sinnvoll wäre, bestimmte Studienplätze für Studierende freizuhalten, die bereit sind, gerade unterbesetzen Stadtteilen oder im ländlichen Raum hausärztlich tätig zu werden.“ Peter Zamory gab zu bedenken, dass es nicht immer möglich, die gesamtgesellschaftliche und die individuelle Situation übereinander zu bekommen. „Aber bei dem Thema ist noch viel Luft nach oben, gerade beim Thema Kontingent im Studium.“

Denkanstöße in Richtung Podium kamen am Ende auch aus den Reihen der Studierenden: „Vielleicht überfordert viele die Verantwortung, die die Verwaltung einer eigenen Praxis mit sich bringt – es wäre gut, darüber mehr im Studium zu erfahren“, „Allgemeinmedizin sollte generell ins Studium integriert werden“, „Wir müssen mehr den Blick fürs Ganze beigebracht bekommen“, „Wir lernen im Studium nur Behandlungsschemata, aber nicht das, was wir als Hausärztinnen und Hausärzte vermutlich brauchen, das müsste geändert werden“ – alles lebhafte Hinweise darauf, dass der Beruf als Hausärzt:in womöglich für Medizinstudierende viel interessanter ist, als die Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion es vermuteten.

 

 

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