RV 2.8: Neurologische Frühreha

In der letzten Ausgabe der Ringvorlesung Asklepios Centers of Excellence am ACH im Studienjahr 2021/22 führte Prof. Dr. med. Karsten Krakow, Chefarzt Neurologie in der Asklepios Klinik Falkenstein, die Studierenden am Asklepios Campus Hamburg der Semmelweis Universität (ACH) in das Thema neurologische Frührehabilitation ein.

Ringvorlesung Asklepios Centers of Excellence am Asklepios Campus Hamburg
Prof. Dr. med. Karsten Krakow

Diagnose Schlaganfall. Er ist mit zwei Dritteln aller Fälle die häufigste Ursache für einen Aufenthalt in einer neurologischen Rehabilitationsklinik und für eine erworbene Behinderung im Erwachsenenalter. Andere Schädigungen des zentralen oder auch peripheren Nervensystems, die einer neurologischen Rehabilitation bedürfen sind z.B. ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine Querschnittslähmung nach einem Unfall, eine neurochirurgische Operation (z. B. bei Hirntumoren), aber auch durch chronische neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Morbus Parkinson. Für alle Patient:innen mit neurologischen Schädigungen stehen im Asklepios Exzellenzzentrum in Falkenstein 155 Akut- und Reha-Betten sowie vor allem zahlreiche moderne therapeutische und technische Möglichkeiten zur Verfügung. Welche dies sind beschrieb Chefarzt Prof. Dr. med. Karsten Krakow am 6. Mai im Rahmen der achten und letzten Ringvorlesung im Studienjahr 2021/22. Prof. Dr. med. Kilian Reising, Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Asklepios Klinikum Harburg sowie Fachverantwortlicher Dozent für Orthopädie am ACH, kam an diesem Tag die Aufgabe zu, den Kollegen aus Falkenstein vorzustellen, die anschließende Diskussion zu moderieren und abschließend dem Referenten für den, wie er sagte, „großartigen Überblick“ zu danken.

Multidisziplinäres Therapeutenteam

Ringvorlesung Asklepios Centers of Excellence am Asklepios Campus Hamburg

Zurück zum Beispiel Schlaganfall: Als Folge treten treten bei 90 Prozent aller betroffenen Patient:innen motorische Defizite in Form von Lähmungen auf. Dazu kommen zusätzlich noch weitere Funktionsstörungen, die parallel behandelt werden müssen, von Koordinations- und Sensibilitätsstörungen, Schluck-, Sprech- und Sprachstörungen bis zu Seh- und kognitiven Störungen. Für die Behandlung all dieser Symptome arbeitet in Falkenstein ein multidisziplinäres Therapeutenteam aus Physio-, Ergo-, Sport-, Sprach- und physikalischen Therapeuten bis hin zu Neuropsychologen und Sozialarbeitern zusammen. Sobald ein:e Patient:in mit neurologischen Ausfällen eingeliefert wird, wird der aktuelle Zustand nach dem sogenannten Barthel Index erhoben. Für Alltags-Fähigkeiten wie Essen und Trinken, Körperpflege oder Mobilität gibt es jeweils 0 bis maximal 20 Punkte. Der noch differenziertere Frühreha-Barthel-Index nach Schönle zieht dagegen dann Punkte ab, wenn zum Beispiel eine beaufsichtigungspflichtige Orientierungs-, Verhaltens- oder Schluckstörung vorliegt. Die Einteilung in Rehabilitationsphasen von B bis D hilft, die Überwachungs- und Pflegebedürftigkeit der Patient:innen richtig einzuordnen und sie einer geeigneten Versorgungsform zuzuführen.  

Patient:innen selbst spielen die größte Rolle in der Therapie

Ringvorlesung Asklepios Centers of Excellence am Asklepios Campus Hamburg
Asklepios Klinik Falkenstein

Die Koordination all dieser Aufgaben erfolgt in der Klinik durch eine erfahrene Ärztin oder einen erfahrenen Arzt und in regelmäßigen Besprechungen mit dem gesamten Team. „Dabei ist der Therapieerfolg größer als die Summe der Effekte der Einzeltherapien“, stellte der Referent fest. Der Erfolg hänge dabei aber auch signifikant von den Patient:innen ab, auf die der Therapieplan individuell zugeschnitten werde, und der oder die die Ziele der Rehabilitation mitbestimme. Entscheidend sei ein früher Therapiebeginn und eine hohe Therapieintensität. Prof. Krakow beschrieb das kritische Zeitfenster, das sich ein bis zwei Wochen nach einer Hirnschädigung öffne und nach einigen Monaten in der Regel wieder schließe. In dieser Zeit sei eine „läsionsinduzierte neuronale Plastizität“ zu beobachten, in der durch Rehabilitationsmaßnahmen erworbene neuronale Ausfälle kompensiert werden können. Grund dafür sei die Tatsache, dass sich Synapsen, Nervenzellen oder auch ganze Areale im Gehirn in ihrer Anatomie oder Funktion so veränderten, dass sie verloren gegangene Prozesse ausgleichen könnten.

Der Neurologe betonte, dass den Patient:innen selbst die wichtigste Rolle in der Reha zukäme: „Man muss tatsächlich wissen, worauf der Patient oder die Patientin hinarbeitet“, erklärte Prof. Krakow, und fuhr fort: „Wenn man wieder laufen lernen möchte, muss man Laufen üben. Hierfür bieten wir aufgabenspezifische und alltagsrelevante Therapien an. Unser Ziel ist, dass der Patient oder die Patientin die Übungen zunehmend selbständig, mit immer mehr Wiederholungen und ohne Unterstützung machen kann.“ Welcher technologische Fortschritt dabei in der neurologischen Rehabilitation mittlerweile Standard sei, zeigten einige Bild- und Filmbeispiele, in denen Patient:innen mittels Arm-, Hand- oder Gangtrainern die Beweglichkeit ihrer oberen und unteren Extremitäten trainierten. Die Vorteile seien offensichtlich: Die Effekte seien belegbar („evidenzbasisert“), die Therapieform qualitativ hochwertig und der Personalaufwand deutlich geringer im Vergleich zur traditionellen 1:1-Behandlung durch Therapeut:innen.

Dem "erlernten Nicht-Gebrauch" entgegenwirken

Ringvorlesung Asklepios Centers of Excellence am Asklepios Campus Hamburg

Überraschend wirkten dagegen die weiteren Beispiele für Therapien, für die es empirisch laut Prof. Krakow belegbare Erfolge gäbe. Der Referent stellt als Beispiel die „Constraint induced movement therapy“ (CIMT) vor. Ziel dieser Therapie sei, bei den Reha-Patient:innen dem „erlernten Nichtgebrauch“ ihrer betroffenen Extremität im Alltag entgegenzuwirken. Als weiteres Beispiel präsentierte er die sogenannte „Spiegeltherapie“ (Bild mit Erklärung). Sie sei eine von vielen Ansätzen, durch die den Patient:innen geholfen werde, die verlorene Beweglichkeit einer Extremität zurückzuerlangen und so möglichst früher oder später in ihren vorherigen Alltag zurückzufinden. „Es gibt aber auch viele Patientinnen und Patienten, die nie mehr ihr altes Leben führen können“, stellte Prof. Krakow fest. „Daher hat die neurologische Frührehabilitation noch eine ganz wichtige psychosoziale Aufgabe neben allen medizinischen Aspekten, indem sie eine seelische Unterstützung bei der Verarbeitung der Krankheit oder auch einer Behinderung leistet, die Angehörigen berät, Selbsthilfeangebote vermittelt und die Weiterversorgung organisiert“ – alles Dinge, die im Exzellenzzentrum der Asklepios Klinik Falkenstein fester Bestandteil des Rehabilitationsprogrammes seien.

Der zweite Durchlauf der Ringvorlesung „Asklepios Centers of Excellence am ACH“ wird im Herbstsemester 2022/23 fortgesetzt.

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