Corona als Herausforderung für Menschen mit Zwangsstörungen

Dr. Udo Polzer: Pandemie triggert Ängste von Betroffenen und verstärkt so Zwangshandlungen.

Sich möglichst oft die Hände zu waschen und zu desinfizieren, gehört angesichts der Corona-Pandemie zu den wichtigsten Hygienemaßnahmen. Für Menschen, die unter einer Zwangsstörung leiden und sich auch schon vor der Pandemie aus Angst vor Ansteckung in einem krankhaften Übermaß die Hände waschen musst en, sei die gegenwärtige Zeit eine große Belastung, erklärt Dr. Udo Polzer, Ärztlicher Direktor des Asklepios Fachklinikums Stadtroda.

Was in mühevoller therapeutischer Arbeit erlernt wurde, nämlich, dass nichts Schlimmes passiert, wenn man sich nicht ständig die Hände wäscht, scheint in Zeiten von Corona nicht mehr gültig zu sein.

Neben Depression und Angsterkrankungen gehören Zwangsstörungen zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen. Ein bis drei Prozent der Bevölkerung erkranken im Lauf ihres Lebens daran; Frauen häufiger als Männer. Ähnlich wie Schizophrenie kommen auch Zwangsstörungen in allen Kulturen gleich häufig vor. „Diagnostiziert werden sie häufig erst nach fünf bis zehn Jahren, weil sich die Betroffenen schämen darüber zu berichten, dass sie eine entsprechende Erkrankung haben“, erläutert Dr. Polzer.

Menschen, die unter Zwangserkrankungen litten, seien häufig misstrauisch, hätten wenig soziale Kontakte und entwickelten Strategien, ihre Erkrankung zu verheimlichen. Entsprechend gelte die Zwangsstörung auch als „heimliche Krankheit“. In den meisten Fällen handelt es sich um eine chronische Erkrankung, mit der sich Betroffene mit Hilfe therapeutischer Unterstützung vielfach gut arrangieren können. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei zwanzig Jahren.

Häufig sind Waschzwänge, Kontrollzwänge oder Putzzwänge. Zwangsstörungen sind meist im Thematischen Umfeld von Ansteckung, Vergiftung, Verschmutzung, Krankheit, Streben nach Symmetrie, Ordnung, Aggression, Sexualität oder Religion angesiedelt.

„Die Ursachen der Erkrankung sind weitestgehend unklar. Es scheinen aber genetische, entwicklungsgeschichtliche und neuroanatomische Faktoren beteiligt zu sein“, sagt Dr. Polzer. „Spannenderweise haben Zwangserkrankte zum Teil ihren Erstkontakt nicht mit dem Psychiater, sondern mit dem Hautarzt, da sie häufig Fingernägel kauen, sich das Nagelbett aufkratzen oder durch exzessives Hände- oder Körperwachen ihre Haut schädigen“, so der Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen. Wichtig ist hierbei, dass die Hautärzte, aber auch die Hausärzte direkt nach Zwangsgedanken und -Handlungen fragen, da die Erkrankten dies nicht von sich aus erzählen.

Das Wesen der Erkrankung besteht in einem meist kombinierten Auftreten von Zwangsgedanken und Zwangshandlungen. Zwangsgedanken sind komische Gedanken, die normalerweise wieder verschwinden, wie etwa der, sich beim Berühren einer Türklinke infiziert zu haben. Bei Zwangserkrankungen verbinden sich diese seltsamen und aufdringlichen Gedanken mit einem Affekt, wie Angst oder Ärger und klingen nicht ab, bevor das Zwangsritual durchgeführt wurde. Die Betroffenen wissen, dass die Ängste und die Zwangshandlungen sinnlos und nicht begründet sind, aber können sich diesen nicht entziehen.

Aus der quälenden Angst sich angesteckt zu haben resultiert als Zwangshandlung das Händewaschen, welches Stunden dauern kann. „Die Zwangshandlungen halten die Zwangsstörung aufrecht“, erklärt Dr. Polzer. Zu den Zwangsgedanken und Zwangshandlungen gesellen sich nicht selten Zählzwänge, denn Zählen hilft gegen Angst.

Nach dem kognitiv-behavioralen Ansatz, der Gedanken und Verhalten in Beziehung setzt, wird eine banale Sache verknüpft mit einem Angst auslösenden Reiz. Zum Beispiel: Wenn ich mir die Hände wasche, verliere ich die Angst. Oder: Aus dem Impuls mein Kind zu schlagen resultiert die Angst, es zu verletzen. Diese Gedanken kriege ich nur weg, indem ich beispielsweise Wäsche zusammenlege.

Der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud ging davon aus, dass Zwangshandlungen dazu dienen, einen bestimmten Impuls zu unterdrücken. Sie bewirken also die Abwehr eines Affekts, der nicht ausgelebt werden darf. Nicht selten handelt es sich um sexuelle oder aggressive Wünsche, die der Betroffene sich verbietet. Der Kompromiss besteht in der ritualisierten Zwangshandlung, die aber ihrerseits auch als quälend erlebt wird.

„Bei der Behandlung kombinieren wir Verhaltenstherapie und medikamentöse Therapie“, sagt Dr. Polzer. Im Rahmen der Verhaltenstherapie wird etwa erlernt, es auszuhalten, sich die Hände nicht zu waschen oder dies in Zeiten der Corona-Pandemie in einem angebrachten Maß zu tun. „Im Allgemeinen verliert sich diese Zwangserkrankung nicht. Viele Betroffene kommen ihr Leben lang immer wieder in Therapie, wodurch sich die Lebensqualität verbessert, weil sie besser zurechtkommen“, resümiert er.

Kontakt:

Dr. Udo Polzer
Ärztlicher Direktor
Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie,
Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen
Tel.: (036428) 56 1200
E-Mail: u.polzer@asklepios.com

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