Start eines Projekts am ACH: Künstliche Intelligenz in der Medizin

Als Auftakt einer Initiative zur Suche nach neuen Anwendungen von Künstlicher Intelligenz in der Medizin diskutierten am 28. September namhafte internationale Experten aus Unternehmen, Start-up-Szene und Universität am Asklepios Campus Hamburg der Semmelweis Universität (ACH) über „Artificial Intelligence in Medicine - Opportunities for Disruptive Innovation“.

Plakat Out of the box am Asklepios Campus Hamburg KI in der Medizin

Passend zur ambitionierten Digitalisierungsstrategie von Asklepios und zu einem neuen Wahlpflichtfach am ACH zu „KI im Gesundheitswesen“, mit Referent*innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, fand hier am 28.09.2021 im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Out of the Box“ ein im Hybrid-Format durchgeführtes, internationales Panel zum Thema „Artificial Intelligence in Medicine - Opportunities for Disruptive Innovation“ statt. Die Idee der Podiumsdiskussion mit anschließend geplanten Workshops geht zurück auf die gemeinsame Initiative von Dr. Christoph Jermann, Geschäftsführer der den ACH betreibenden Asklepios Medical School (AMS), sowie Dr. ing. Peter Owotoki, der an der TUH Hamburg in einem Doppelstudiengang einen M.Sc. in Informatik und einen MBA erwarb und über Künstliche Intelligenz promovierte, danach als Berater bei McKinsey und dann im Bereich Corporate Finance tätig war und heute als CEO des von ihm gegründeten Medizintechnik-Startup Vitafluence.ai KI-Projekte im HealthCare-Bereich leitet, z.B. zur Entwicklung von digitalen Biomarkern und Therapeutika für neurologische Erkrankungen.

KI verstehen, vertrauen und nutzen

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Dr. Peter Owotoki

Dr. Owotoki begann mit einem kurzen Rückblick auf fünf Jahrzehnte Geschichte von KI in der Medizin. Anschließend stellte er folgende Themenkomplexe in das Zentrum des Abends: Wie verändert KI die heutige medizinische Praxis? Welche vielversprechenden Innovationen zeichnen sich ab? Wie wird KI in der Industrie und besonders in den Bereichen Biowissenschaften, Biopharma und digitale Gesundheit eingesetzt? Welche ethischen Risiken gibt es und wie muss mit diesen umgegangen werden? Wie weit wird die medizinische Ausbildung von heute in absehbarer Zukunft noch relevant sein? Wie können wir künftige KI-Innovationen für die Medizin mitgestalten? Und vor allem: Wie können Menschen – in diesem Fall besonders Mediziner*innen – dazu gebracht werden, KI besser zu verstehen, ihr zu vertrauen und sie zu nutzen?

Erst Podiumsdiskussion, dann zwei Workshops

Teilnehmende Out of the box am Asklepios Campus Hamburg KI in der Medizin

Vorläufige Antworten zu diesen Fragen lieferten die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: die KI-Experten Vijay Mital (CVP Microsoft, zugeschaltet aus Seattle/USA), Luca Finelli (Head Insights Strategy & Design, Data Science und KI bei Novartis, angereist aus Basel/Schweiz), Lars Roemheld (Direktor des Health Innovation Hub (zugeschaltet aus Berlin), Univ.-Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn (Professor für Digitale Medizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Bielefeld) und Prof. Dr. med. Christoph U. Herborn, Vorstand und Medical Director von Asklepios (Nicole Büttner, CEO von MeranttixLABS in Berlin musste krankheitsbedingt kurzfristig absagen). In zwei weiterführenden Workshops am 20 November und am 19. Februar sollen Ärzt*innen, KI-Expert*innen, Medizin- und Jura-Student*innen gemeinsam KI-Anwendungsfälle in der Medizin identifizieren und auf ihre Marktfähigkeit hin prüfen.

Blick in die Zukunft des Themas Ki in der Medizin

Umfrage What is limiting the adoption of AI in Medicine in Europe
Ergebnis der Mentimeter-Umfrage "Was limitiert die Anwendung von KI in der Medizin in Europa?"

Als Gastgeber der Abendveranstaltung oblag es Prof. Herborn, die Podiumsteilnehmer, den Moderator Dr. Owotoki und die Gäste zu begrüßen. Er verspreche sich von dem Abend nicht nur einen Blick in die Zukunft des Themas KI, das sowohl in der Medizin als auch in vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens aktuell heiß diskutiert werde, sondern vor allem eine lebhafte, fruchtbare und auch unterhaltsame Diskussion für die Teilnehmer*innen im Auditorium und an den Bildschirmen zu Hause sowie für die vier Panelists vor Ort und die beiden zugeschalteten Experten in Seattle und Berlin. Zum Einstieg forderte Dr. Owotoki alle auf, in einer online Mentimeter-Umfrage per Handy die Frage zu beantworten: „Wird KI Mediziner*innen ersetzen?“ Die gleichermaßen eindeutige wie zu erwartende Antwort lautete: niemals! Die zweite Einstiegsfrage lautete: “Was limitiert die Anwendung von KI in der Medizin in Europa?“ Die differenzierten Antworten auf diese Frage – mangelndes Vertrauen, ethische Bedenken, Mangel an Investitionen sowie Training des medizinischen Personals, schwieriges regulatorisches Umfeld – lieferten wichtige Stichworte für die direkten Fragen an die Panelists. 

Kernaussagen der Panelists:

Out of the box-Veranstaltung zu KI in der Medizin am Asklepios Campus Hamburg
Eindruck von der Hybrid-Veranstaltung am ACH

Vijay Mital: Als einer der weltweit führenden Köpfe im Bereich der angewandten KI und Schöpfer einer weit verbreiteten KI-Anwendung in der Industrie vertrat er die Meinung, dass KI in erster Linie dazu diene, praktische Arbeit für alle grundsätzlich zu erleichtern und zu verbessern. Dies setzte gleichzeitig Kreativität frei. Durch KI sei es möglich, große Datenmengen besser zu erfassen, zu analysieren und zu verstehen. Grundvoraussetzung dafür sei, möglichst viele Daten in immer leistungsfähiger werdenden Computersystemen so zusammenzutragen, anzuwenden und anzupassen, dass alle von diesen Daten lernen können. Er berichtete über aktuelle Entwicklungen der KI-Innovation durch sogenannte "KI-Grundmodelle", die von den fünf mächtigsten Technologieunternehmen mit Milliarden und sogar Billionen von Rechenknoten geschaffen worden seien, und darüber, wie diese allgemein zugänglich gemacht werden können, um ganz neue Möglichkeiten auch für Wissenschaft und Medizin zu eröffnen.

Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn: Der Professor für digitale Medizin und Vordenker im Bereich Digital Health sowie der medizinischen Ausbildung, betonte die Notwendigkeit, Ärzt*innen die Angst zu nehmen, dass sie ersetzt würden. Ihr Wirken werde durch KI lediglich erleichtert und erweitert. KI bringe die großartige Gelegenheit mit sich, Wissen zusammenzuführen, bestehende Grenzen zu überwinden, von allen gleichermaßen genutzt zu werden und so der Behandlung von unzähligen Patient*innen dienen zu können. Wichtig sei, die Vorteile von KI in der täglichen Praxis zu erkennen. Jede*r Student*in, jede*r Ärzt*in müsse allerdings für die digitale Transformation gerüstet sein und über entsprechende Basisqualifikationen verfügen, wie sie bereits am ACH seit 2019 vermittelt werden. Die jetzige Generation sei die letzte, die die bestehende „alte“ Medizin noch kennenlerne und die erste, die die „neue“ Medizin anwende. Künftig werde KI im medizinischen Alltag so wichtig sein wie ein Stethoskop.

Luca Finelli: In seiner Rolle als Pionier bei der Einführung von KI und digitalen Lösungen in der Pharmaindustrie, hob hervor, wie wichtig für alle Anwender*innen eine möglichst große Bandbreite an erfassten Daten sei. Er wies darauf hin, wie die Medizin von den Erfahrungen anderer Industriezweige, einschließlich der Pharmaindustrie und der Luft- und Raumfahrt, profitieren kann, um die Einführung und Transformation von KI zu beschleunigen. Die wichtigste Frage sei, wie die unterschiedlichsten Daten über Patient*innen auch mit Blick auf ihre Lebensumstände zusammengebracht und analysiert werden könnten. Die digitale Transformation, die ja bereits in vollem Gange sei, sei vor allem eine Frage von Vertrauen, Erklärbarkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit.

Lars Roemheld: Der Experte für Data Science und Fachberater der deutschen Regierung sowie des deutschen Gesundheitsministeriums, plädierte dafür, neben dem Blick für Daten und Fakten auch Verständnis für eine immer stärker personalisierte Medizin zu entwickeln. Dazu sei es erforderlich, zunehmend interdisziplinär zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Mediziner*innen der Zukunft müssten sich seiner Meinung nach weniger Büchern als vielmehr digitalen Tools und Apps zuwenden. Nur so ließen sich die faszinierenden datenbasierten Erkenntnisse auch zum Wohle von Patient*innen einsetzen. In seinen Augen müssen daher der Zugang zu den erforderlichen Daten sowie die Regulierungen deutlich vereinfacht werden.

"KI hält Einzug in alle Bereiche der Medizin"

Out of the box-Veranstaltung zu KI in der Medizin am Asklepios Campus Hamburg
Prof. Dr. med. Christoph U. Herborn

Prof. Dr. med. Christoph U. Herborn wies als Mitglied des Vorstands des zweitgrößten privaten Kinikbetreibers in Deutschland auf die ehrgeizige Vision von Asklepios eines Krankenhauses der Zukunft im Rahmen einer patientenzentrierten digitalen Gesundheitsversorgung hin, mit standardisierten digitalen Services und kundenorientierten Anwendungen entlang der ganzen Patient Journey auf Basis einer grundlegend neuen Informationsarchitektur. Er mahnte zugleich zu realistischen Einschätzungen und betonte vorsichtigen Optimismus hinsichtlich des Einsatzes von KI. Ohne Zweifel sei KI dabei, in alle Bereiche der Medizin Einzug zu halten und Vieles zu revolutionieren. Ebenso sicher ist aber aus der Erfahrung der letzten Jahre, dass manche Anwendung länger brauche in der Entwicklung als erwartet und dann auch nicht immer die in sie gesetzten Hoffnungen erfülle.

Am Schluss lud Dr. Jermann alle Interessierten ein, sich im Rahmen der beiden geplanten Workshops am ACH an der Suche nach klinisch relevanten neuen Use Cases für KI in der Medizin zu beteiligen. Ziel sei es, geeignete Anwendungen mit Unterstützung aus einem Netzwerk von klinischen Spezialisten, von KI-Experten in Universitäten, Unternehmen und Start-ups sowie von innovations- und experimentierfreudigen Studierenden und Absolvent*innen konzeptionell, technisch und unternehmerisch bis zur Marktreife zu entwickeln.

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