Erinnerungskultur oder kollektives Vergessen

Erinnern und Vergessen nach 1945 und 1990 stehen im Focus der Psychotherapie-Fachtagung am 10. März am Asklepios Fachklinikum Stadtroda

Stadtroda, den 1. Februar 2018. Will sich unsere Gesellschaft an ihre Vergangenheit, an das erlebte Leid wie auch an ihre Täterschaft erinnern, oder organisiert sie ein kollektives Vergessen? Das ist eine der Fragestellungen, die im Focus der gemeinsamen Fachtagung des Thüringer Weiterbildungskreises für Psychotherapie und Tiefenpsychologie e.V. und der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin am Asklepios Fachklinikum Stadtroda steht. Die Tagung richtet sich an Fachärzte und medizinisches Fachpersonal und wird von der Landesärztekammer als Fortbildungsveranstaltung zertifiziert.

Unter der Überschrift „Erinnern und Vergessen“ firmiert die diesjährige Fachtagung, die am Samstag, 10. März, ab 9 Uhr, im Felsenkellersaal des Asklepios Fachklinikums stattfindet. Entstanden war die Idee zu diesem Tagungsthema aus der Überlegung heraus, „ob wir angesichts einer Überflutung an Informationen und Möglichkeiten des Konsums überhaupt noch eine reflektierende oder erinnernde Gesellschaft sind“,  erklärt Dr. Uwe Wutzler, Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin.

„Bei der Frage nach kollektivem Erinnern oder Vergessen müssen wir nicht einmal bis zur Nachkriegszeit zurückgehen, denn auch die politische Wende erinnert an Schmerzhaftes, das wir uns nicht gern vergegenwärtigen: das Erleben der DDR als diktatorischem und repressivem Staat und die Verunsicherung und Kränkung nach der Vereinigung Deutschlands, als der Verlust der im Osten geschaffenen menschlichen und materiellen Werte bewusst wurde“, unterstreicht Chefarzt Wutzler.

Den Organisatoren ist es gelungen, mit Prof. Dr. Dr. h.c. Aleida Assmann eine echte Spezialistin auf dem Gebiet der Erinnerungskultur für die Tagung zu gewinnen. Die Kulturwissenschaftlerin von der Universität Konstanz gilt als Expertin für die mit politischen Umbrüchen einhergehende Umwertung aller Werte. Kommt es doch dabei zu einer neuen Konstruktion des kollektiven Selbstbildes von Staaten, zu einer radikalen Umordnung und Umbewertung des Wissens sowie zu einer neuen Erzählung der nationalen Geschichte.

„Erinnern und Vergessen nach 1945 und 1990“ ist Prof. Aleida Assmanns Vortrag überschrieben. „Sie hat sehr viel über die Herausbildung eines gesellschaftlichen Gedächtnisses veröffentlicht, nicht nur, was die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft, sondern auch jene nach der Wende, die ja auch viele Verluste und Veränderungen mit sich gebracht hatte“, erklärt Dr. Uwe Wutzler.

Assmanns These ist, dass nach 1990 nicht nur das Erinnern und das Vergessen die Plätze tauschten, sondern dass damals auch eine historisch neue Form des Erinnerns entstanden ist, von der die Zukunft Deutschlands und der EU weiterhin geprägt sein wird. „Wir sind sehr gespannt auf ihren Vortrag“, sagt Dr. Wutzler.

„Woran willst du dich erinnern?“, heißt es in einem Songtext von Christina Stürmer. Doch nicht nur das Erinnern, sondern auch das Vergessen ist ein aktiver Vorgang. So kommt es vor, dass gerade bei älteren Patienten das Phänomen auftritt, sich an bestimmte Situationen nicht erinnern zu wollen. Nicht selten wird hier aufgrund der Schwierigkeit bei der Abgrenzung die Verdachtsdiagnose Demenz gestellt. Hier setzt der Vortrag von Prof. Dr. Meinolf Peters an.

Der Marburger Psychologe, Psychotherapeut und Psychoanalytiker begreift Erinnern und Vergessen als psychodynamische Prozesse, deren Verständnis eine wesentliche Grundlage der Psychotherapie, besonders älterer Patienten, ist. Während „Erinnern“ positiv besetzt ist, wird „Vergessen“ eher in einen pathologischen Kontext gerückt. Eine besondere Bedeutung gewinnen Erinnern und Vergessen vor dem Hintergrund traumatischer Erfahrungen.

Die Folgen traumatischer Erfahrungen stehen im Fokus des Vortrags von Prof. Dr. Annegret Eckhardt-Henn. Die Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Stuttgart, Krankenhaus Bad Cannstatt, gilt als Koryphäe auf dem Gebiet komplexer dissoziativer Bewusstseinsstörungen als Traumafolge. Gerade schwere dissoziative Bewusstseinsstörungen können zunehmend zu einer Beeinträchtigung der Alltags- und Berufsaktivitäten führen.

Dr. Uwe Wutzler vermutet, dass dies auch auf die so genannten „Wendeverlierer“ zutrifft. Auf jene also, die durch die fundamentalen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche nach 1990 gleichsam entwurzelt worden waren und sich an die neuen, veränderten Gegebenheiten nicht anpassen konnten.

 

Kontakt

Dr. Uwe Wutzler
Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatische Medizin
Vorsitzender des Thüringer Weiterbildungskreises e.V.
Tel.: (036428) 56 1462
E-Mail:
u.wutzler@asklepios.com

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