Pandemie könnte Computer- und Onlinesucht verstärken

Alternativen lassen sich auch während der Corona-Beschränkungen aufbauen.

„In Zeiten der Corona-Pandemie und vor allem während des Lockdowns hat sich bei Betroffenen die Suchtproblematik vielfach verstärkt“, sagt Dr. Udo Polzer, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Dies gelte insbesondere für stoffgebundene Süchte, allen voran für die Alkoholsucht.

Dass in Zeiten der Kontaktbeschränkungen, der reduzierten Möglichkeiten der Freizeitgestaltung und der Verlagerung von Veranstaltungen ins Internet auch die Computer- und Onlinesucht zugenommen hat und weiter zunehmen könnte, vermutet Dr. Steffi Leipold-Haas, Oberärztin der Abteilung für Suchterkrankungen. Gerade in der Umstellung auf Online-Kontakte in sozialen Netzwerken berge eine Gefahr.

Insbesondere Menschen mit ohnehin schon hoher Affinität für das Digitale sieht sie nun gefährdet, wenn sie zusätzlich von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen sind, denn „Langeweile führt zu Spielsucht.“ Gefährdet sind erwachsene Menschen vor allem dann, wenn sie nicht gelernt haben, mit Langeweile umzugehen. „In der Corona-Pandemie gibt es wenig Freizeitmöglichkeiten, zumal diese im Winter ohnehin schon eingeschränkt sind“, betont Dr. Leipold-Haas. Das schafft Raum für Ängste oder das Grübeln über eigene Ansprüche, die sich gerade nicht erfüllen. 

Im Gegensatz zu stoffgebundenen Süchten, wie der Alkoholsucht oder zu anderen stoffungebundenen Süchten, wie der Automatenspielsucht, sei das Tückische an der Computer- und Onlinesucht, dass in einer digitalisierten Welt dem Suchtmittel kaum zu entkommen sei. Vielfach sind Computer oder Smartphone sogar fester Bestandteil des Berufsalltags.

Nicht selten flüchten sich Menschen in die Computer- oder Onlinesucht, die sehr schüchtern sind, soziale Kontakte oder tiefere Bindungen nicht aushalten können, oder die vor der Realität entfliehen wollen. Schlafstörungen, Nervosität, Reizbarkeit, Partnerschaftsprobleme, massive finanzielle Notlagen bis hin zu Verschuldung und Beschaffungskriminalität zählen zu den Kriterien der Computer- und Onlinesucht - ebenso, wie ein negatives Selbstbild und ein geringes Selbstwertgefühl.

Nicht selten trifft es ehemalige Leistungssportler, die der plötzlich entstandenen Leere durch Computer zocken entkommen wollen. „Typisch ist auch eine Suchtverlagerung aus anderen Abhängigkeiten in Richtung Computer- und Onlinesucht“, erklärt Dr. Steffi Leipold-Haas.  

Wie bei anderen Süchten kommt es auch bei der Computer- und Onlinesucht zum „Craving“, also zu einem wahnsinnigen Verlangen nach dem Suchtmittel. Exzessives Verhalten beeinflusst den Botenstoffhaushalt im Gehirn und sorgt zunächst für gute Laune und Schwung. Das Belohnungszentrum kann sich aufgrund des Spielens neuronal verändern, was wiederum zu Suchtverlangen führt.

Laut Untersuchungen der Universität Ulm führt regelmäßiges Spielen zu einer Veränderung jenes Bereichs des Frontallappens des menschlichen Gehirns, der für die Kontrolle von Emotionen und für die Entscheidungsfindung zuständig ist.

Das beste Mittel gegen Onlinesucht sei eine interessante, abwechslungsreiche und gleichzeitig ausgewogene Lebensgestaltung: „Jetzt, wo alles eingeschränkt ist, sei es Kino, Party oder Sport, ist das natürlich deutlich schwieriger. Hilfreich könnte es sein, Entspannungstechniken zu erlernen und Gewohnheiten zu überdenken.“

Betroffene, die von der Sucht wegkommen wollen, sollten sich Hilfe bei Suchtberatungsstellen, wie der „Suchthilfe in Thüringen“ (SIT) in Jena suchen und ihre Angehörigen in ihre Pläne einbeziehen. Wichtig sei vor allem ein geregelter Tagesablauf. Sinnvoll sei es, Tagespläne zu erstellen, in denen auch Computerzeiten erfasst würden.
 
Alternativen zur Sucht lassen sich auch während der Corona-Beschränkungen aufbauen. So rät Oberärztin Leipold-Haas zum Joggen oder zu anderweitigem Sport im Freien, zur aktiven Freizeitgestaltung, zum Lesen, zum kreativen Gestalten, zum Zeigen von Gefühlen und zur Pflege befriedigender Beziehungen. „Wichtig ist vor allem: Kein Verzicht auf Schönes, kein grauer Alltag“, betont Dr. Steffi  Leipold-Haas.

Kontakt:

Dr. Udo Polzer
Ärztlicher Direktor
Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie,
Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen
Tel.: (036428) 56 1200
E-Mail: u.polzer@asklepios.com

Dr. Steffi Leipold-Haas
Oberärztin
Abteilung für Suchterkrankungen
Tel.: (036428) 561435
E-Mail: s.leipold@asklepios.com

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