"Chirurgin sein ist ein fantastischer Beruf."

Dr. med. Sonja Könemann (36) ist eine gute Chirurgin und eine gute Mutter. Dass man sich als Frau nicht entscheiden muss, sondern beides haben kann, beweist sie täglich bei uns im #teamaltona. Als Fachärztin der Viszeralchirurgie engagiert sie sich im erweiterten Vorstand vom Verein „Die Chirurginnen e.V.“. Wir haben sie während ihrer aktuellen Elternzeit zum Gespräch getroffen.

Berufswahl

Portrait Chirurgin Dr. med. Sonja Könemann

Seit wann bist Du Teil vom #teamaltona?
Ich habe in Münster studiert und bin dann zum Arbeiten nach Hamburg gezogen. Meine Fachärztinnenausbildung habe ich im Regio Klinikum Elmshorn begonnen und bin dann im vierten Weiterbildungsjahr nach einem Umzug im April 2019 an die Asklepios Klinik Altona gewechselt – dementsprechend lagen damals noch zweieinhalb Jahre als Ärztin in Weiterbildung vor mir. Meine Fachärztinnenprüfung habe ich letztes Jahr erfolgreich bestanden.

Und wann stand für Dich fest: Ich will Chirurgin werden?
Ganz spät.

Ich bin gar nicht die geborene Chirurgin.

Ich fand während des Studiums sehr viele verschiedene Fachrichtungen spannend – auch wenn mich der OP immer schon am meisten gereizt hat.

Aber man muss es sagen, wie es ist: Wenn man als Frau Medizin studiert und dann immer mal wieder sagt „Ach ja, Chirurgie finde ich gut“, dann ist die Reaktion nicht „Ja, toll, go for it, mach das auf jeden Fall. Das wird klasse.“ Das sagt niemand. Zumindest während meines Studiums von 2007 bis 2014 war das so – heute hat sich das durchaus ein bisschen geändert.

Von Freund:innen und während Praktika wurden mir immer nur folgende Fragen als Reaktion auf meinen Chirurgie-Wunsch gestellt: Aber willst du keine Familie haben? Meinst du wirklich, so als Frau? Meinst du denn, du bist der Typ dafür? Willst du denn in der Klinik leben? Dieses skeptische Feedback hat mich schon sehr abgeschreckt und deswegen habe ich mich auch sehr viel in anderen Fächern umgeguckt. 

Aber mit Ende des Studiums war es dann ziemlich klar, dass ich einfach den OP am spannendsten finde und vor allem die Viszeralchirurgie – also den Magen-Darm-Trakt und die Bauchorgane. Das ist genau mein zu Hause.

Ich finde den Darm toll.

Also habe ich entschieden, es zu probieren und zu gucken, was passiert. Und das ist tatsächlich die Freiheit, die man heutzutage als Mediziner:in hat.

Und dann?
Hat es mich von Anfang an gepackt. Ich hatte aber auch das Glück, dass ich sofort richtig gefördert wurde und auch selber viel operieren durfte. Da war ich schnell Feuer und Flamme und konnte mir auch nichts Anderes mehr vorstellen.

 

Karrierechancen

Gab es denn auch neben den persönlichen Bedenken aus Deinem Umfeld klare Fakten, die gegen die Berufswahl gesprochen haben?
Natürlich ist es so, wenn man auf die Karrierechancen schaut, dass man schnell merkt:

Egal wo man hinkommt, gibt es wenig Frauen in der Chirurgie und noch seltener in Führungspositionen.

Und auch wenn ich einen generellen Kinderwunsch hatte, war der zum Ende des Studiums noch gar nicht konkret. Damals wollte ich vor allem im Beruf durchstarten. Nach dem Wechsel nach Altona wurden die eigenen Familienpläne aber immer mehr ein Thema und da fragt man sich als Frau in der Chirurgie dann schon, bin ich jetzt abgemeldet?

Das war der Moment, in dem ich den Verein „Die Chirurginnen e.V.“ gefunden habe. Das war eine richtige Kehrtwende für mein chirurgisches Fortkommen und auch mein eigenes Karrieredenken. Mit dem Kennenlernen dieses Vereins habe ich von null auf hundert wirklich so unglaublich viele tolle Vorbilder gefunden. Und die ganze Bandbreite an chirurgischen Karrierewegen hat sich vor mir ausgebreitet. Man denkt so häufig, man ist allein und die Einzige der es so geht.

Unsere Präsidentin sagt immer gerne: „You can only be, what you can see“.

Welche Ziele verfolgt der Verein „Die Chirurginnen e.V.“ denn konkret?
Eines unserer Hauptziele ist es, Frauen in der Chirurgie sichtbarer zu machen –  in allen Weiterbildungs- und Karrierestufen, aber auch möglichst in den Leitungspositionen. Damit Studierende und Kolleg:innen erkennen, es ist möglich: Frauen können genauso gut operieren, sie können Leitungsfunktionen erfüllen und auch Familie und Beruf vereinbaren.

Natürlich kann man nicht erwarten, alles tausendprozentig zu machen. Das geht nicht. Es gibt immer Kompromisse. Aber eine Frau, die in der Chirurgie arbeitet und ein Kind bekommt ist nicht automatisch weg vom Fenster. Das ist einfach nicht so und jeder, der das denkt, ist ziemlich rückwärtsgewandt. Die Realität zeigt, wenn wir weiterhin diesen negativen Glaubenssätzen folgen und auch die Teilzeit in der Chirurgie verteufeln, dann wird es zukünftig nicht mehr genug Chirurg:innen geben. Das ist Fakt.

Unsere Arbeitswelt hat sich verändert und das erfordert ein Umdenken. 

Zum Beispiel?
Vor 20, 30 Jahren haben Chirurg:innen die meiste Arbeitszeit im OP oder zumindest an den Patient:innen in der Notaufnahme oder auf der Station verbracht. Heute sehen unsere Tage ganz anders aus. Wir sitzen viel mehr am PC oder am Telefon. Die Gewichtung ist eine ganz andere, deswegen kann man die Arbeit in der Chirurgie von damals einfach nicht mehr mit der heutigen Arbeitswelt vergleichen. Die Arbeitsverdichtung ist enorm.

Und auch das Drumherum hat sich verändert, wir leben ja längst nicht mehr alle im klassischen Familienmodell.
Ganz klar, wenn man einer Frau in der Chirurgie abspricht, beruflich erfolgreich sein zu können, dann ignoriert man vollkommen, was sie vielleicht für eine Familienstruktur lebt. Vielleicht gibt es da ja einen Vater, der Vollzeit zu Hause bleiben möchte oder andere deutlich moderne Konzepte abseits von dem Gedanken, dass die Frau sich allein um Haushalt und Kinder kümmert.

Arbeiten im #teamaltona

Wie nimmst Du denn die Situation im #teamaltona wahr? Schließlich wurden Deine beiden Kinder auch während Deiner Weiterbildungszeit bei uns in der Klinik geboren.
Die erste Schwangerschaft müssen wir dafür ein wenig ausklammern, denn es war die Anfangszeit von Corona und da gab es einfach sehr viele Unsicherheiten – es gab noch keine Impfung und wir wussten wenig über das Virus. Daher bin ich sehr früh ins Beschäftigungsverbot gegangen und habe auch nicht mehr operiert.

In der zweiten Schwangerschaft war das ganz anders. Prof. Daniel Perez als Chefarzt der Allgemein- und Viszeralchirurgie war, und das muss ich deutlich sagen, wirklich absolut unterstützend. Er hat mir von vornherein signalisiert, dass ich vorgebe, was ich machen möchte und was ich nicht machen möchte.

Und das, finde ich, ist auch der optimale Weg.

Denn jede Schwangerschaft ist anders, jede Frau ist anders. Deswegen finde ich es falsch, allen Schwangeren in der Chirurgie zu sagen, ihr dürft nichts oder allen zu sagen ihr müsst alles. Sondern es sollte individuell möglich sein, solange gut zu arbeiten, wie man das kann und es sicher möglich ist. Und das habe ich dann auch so leben dürfen.

Ich habe also noch bis zum 7. Monat operiert. Und das ging auch super. Das ist ja alles eine Frage der Bedingungen. Natürlich ist der Beruf insgesamt anstrengend und körperlich fordernd – auch mit Blick auf Stress durch den allgegenwärtigen Personalmangel. Da muss man in einer Schwangerschaft schon aufpassen, dass man bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Prof. Perez hat das aber super gemanagt und in diesem Setting habe ich auch sehr, sehr gerne noch gearbeitet.

Das ist ja auch wichtig, um mit der Weiterbildung voran zu kommen, oder?
Natürlich ist es für die fachärztliche Weiterbildung und weitere Zusatzbezeichnungen relevant, weiter zu operieren. Aber mal abgesehen von den eigenen operativen Fähigkeiten ist es eben auch eine wirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Frage: Wollen wir, dass alle schwangeren Ärztinnen, die eigentlich arbeiten können und wollen, zu Hause sitzen?

Und man darf nicht vergessen:

Ich operiere gerne, deswegen habe ich mir den Beruf ja auch ausgesucht.

Gibt es denn bei uns im #teamaltona die Möglichkeit, als Chirurgin in Teilzeit zu arbeiten?
Ja das geht und das habe ich auch nach der ersten Elternzeit gemacht. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich dank meines Partners sehr flexibel bin. Er ist selbständig und kann dadurch die Kinderbetreuung gut absichern. Das kann auch sehr anders aussehen. Bei mir hat es gut funktioniert – auch schwanger weiterzuarbeiten.

Das ist aber nicht die Regel.  Die Bandbreite ist groß. Daher gibt es auch die Initiative „Operieren in der Schwangerschaft (OPIDS)“, die 2015 ins Leben gerufen wurde und mittlerweile im Verein integriert ist. Hier geben wir Kolleginnen, die gerne weiteroperieren möchten, Positionspapiere und wissenschaftliche Studien an die Hand, um dem Arbeitgeber zu zeigen, wie es möglich ist, als Schwangere sicher im OP zu arbeiten. Wir bieten Orientierung und eine Argumentationsgrundlage.

Natürlich müssen Mutter und Kind immer geschützt werden und dafür gibt es ja auch den Mutterschutz. Aber wenn man alle Regelungen zu streng auslegt, ist das eben zum Nachteil für die Frauen. Wenn man auch Frauen den Aufstieg in Führungspositionen ermöglichen möchte, dann muss man eine gleichberechtigte Situation für Männer und Frauen schaffen. Und hier ist das Operieren in der Schwangerschaft ein wichtiger, wichtiger Punkt, bei dem man ansetzen muss.

Und das möchte der Verein erreichen?
Uns geht es vor allem darum, Lösungswege aufzuzeigen. Wir wollen auf keinen Fall andere schlechtmachen oder eine Opferrolle einnehmen.

Wir wollen Frauen das ermöglichen und bieten, was Männer der Konvention halber einfach schon seit Jahrhunderten haben.

Und man merkt, was es für einen unglaublichen Bedarf an so einem Netzwerk gibt, wenn man bedenkt, dass wir jetzt an unser zweitausendstes Mitglied kommen und das in drei Jahren Vereinsgeschichte. Das ist schon eine enorme Zahl. Schließlich hat so manche chirurgische Fachgesellschaft insgesamt „nur“ 3.000 Mitglieder.

Genau dieses einander die Hände reichen, sich austauschen, Unterstützung bieten, einfach ein Netzwerk zu sein auf vielen Ebenen ist es, was den Verein ausmacht – auf der persönlichen Ebene, aber auch auf der fachlichen Ebene. Es wird durchaus ganz viel fachlich diskutiert, Fälle werden vorgestellt, Problematiken miteinander besprochen. Wir haben eine Jobbörse und bieten jeden Monat zertifizierte Online-Fortbildungen an. Es gibt auch eine AG Wissenschaft, in der forschende Frauen sich austauschen, Promotionsvorhaben vergeben werden oder Unterstützung für die Habilitation möglich ist. Einige Mitglieder engagieren sich berufspolitisch und wir sind auf allen großen Kongressen mit einem Stand und häufig auch mit eigenen Sessions vertreten. Die Arbeit des Vereins ist also super vielfältig.

Zukunftsperspektiven

Was würdest du Medizinstudentinnen mit auf den Weg geben?
Lasst Euch nicht von den klassischen Vorurteilen abhalten.

Chirurgin sein ist ein fantastischer Beruf.

Ich hatte auch schon Durststrecken in meinem beruflichen Weg, aber es ist trotz allem, trotz Bürokratie, trotz Kostendruck, wenn man sich auf das Wesentliche besinnt – das, was unseren Beruf ausmacht – ein wirklich wunderschöner, fantastischer Beruf. Medizin insgesamt aber vor allem die Chirurgie.

Deswegen: Weiter so! Gebt alles für Euer Ziel. Aber vergesst Euch dabei nicht selbst. Vor allem, wenn man in den Beruf startet, können einen die Verantwortung und Arbeitsbelastung übermannen. Aber ich denke, wir sind zumindest auf einem guten Weg, das besser zu machen.

Deswegen finde ich auch wirklich viele Forderungen, die vom Nachwuchs kommen, absolut gerechtfertigt. Ich bin kein Fan von Floskeln wie „da mussten wir alle durch“. Nein, finde ich nicht. Man kann sich über alles freuen, was besser wird für die, die nachkommen. Und am besten man sorgt selbst dafür, dass es besser wird.

Und wie wird es mit Deiner Karriere weitergehen?
Seit ich den Verein kenne, gibt's da keine Grenzen. Hier habe ich gelernt, meine Karriere selbst in die Hand zu nehmen. Die Mitgliedschaft war für mich wie ein Motivations-Kick-Starter. Klar, gibt es Hürden, die man nicht mit purer Willenskraft umgehen kann. Es müssen viele begünstigende Faktoren zusammenkommen, damit man Erfolg hat. Anstrengung allein reicht leider nicht. Aber der Verein hat mir gezeigt, dass es sich lohnt, in eine aktivere Rolle zu kommen.

Es ist viel möglich.

Daher: Auf jeden Fall sehe ich mich zukünftig als Oberärztin. Ich mag nach wie vor das Arbeiten in der Klinik unglaublich gerne. Natürlich sind die Dienste anstrengend und man gibt viel rein. Aber ich empfinde diese Arbeit als sehr erfüllend.

Danke für das Gespräch.

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