Neuer Ansatz bei der Behandlung schwerer Depressionen

Dr. Udo Polzer: Ketamine kommen in Stadtroda insbesondere bei älteren oder akut selbstmordgefährdeten Patienten zum Einsatz

Am Asklepios Fachklinikum Stadtroda kommen seit Kurzem Ketamine bei der Behandlung schwerer Depressionen zum Einsatz. Ketamine wurden bereits in den frühen sechziger Jahren als Anästhetika für Narkosen eingesetzt. Da sie die Atmung nicht beeinflussen und unter ihrer Anwendung eine schnell einsetzende Stimmungsaufhellung bei Patienten auffiel, werden Ketamine seit einigen Jahren auch zur Behandlung von Menschen verwendet, die unter schweren Depressionen leiden bzw. sich das Leben nehmen wollen.
Zum einen kommen Ketamine in der Gerontopsychiatrie bei älteren Patienten zur Anwendung. „Etwa dreißig Prozent der Depressionen im Alter sind therapieresistent, das heißt, man kommt mit klassischen Antidepressiva nicht weiter. Das liegt vielleicht daran, weil sich die Hirnstrukturen im Alter verändern und weniger Nervenbotenstoffe, wie Serotonin produziert werden“, erklärt Dr. Udo Polzer, Ärztlicher Direktor des Asklepios Fachklinikums Stadtroda.

Auslöser für Depressionen im Alter sind nicht selten mit dem Ausstieg aus dem Berufsleben, dem Wegfallen von damit verbundenen Strukturen oder dem Sterben von Freunden verbunden. „Man wird im Alter sensitiver für Depressionen. Viele werden auch nicht als solche erkannt, weil sie auch oft mit körperlichen Beschwerden einhergehen“, sagt der Chefarzt der Klinik für Allgemeine Psychiatrie/ Psychotherapie, Gerontopsychiatrie und Suchterkrankungen.
Bei schweren Depressionen im Alter, die auf gängige Medikamente nicht ansprechen, kann nun neben der Elektrokrampfbehandlung auch die Therapie mit Ketaminen angeboten werden, was vor allem in Österreich schon längere Zeit erprobt wird. Ältere Patienten mit therapieresistenten Depressionen erhalten in Stadtroda über einen längeren Zeitraum zweimal pro Woche eine nasale Ketamingabe, gegebenenfalls auch als Kurzinfusion. Gut die Hälfte der Patienten sprechen aktuellen Studien zufolge gut auf das Ketamin an.
„Spannend ist, dass das Ketamin anders wirkt als die klassischen Antidepressiva. Es vermindert im Gehirn die Ausschüttung des Botenstoffs Glutamat, der verstärkt bei Stress freigesetzt wird. Gleichzeitig kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung von Dopamin, das als Glückshormon gilt, und Noradrenalin, das Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration steigert. Ketamine haben zudem einen Einfluss auf die Schmerzrezeptoren sowie einen neuroprotektiven Effekt. Sie haben also eine breite und große Wirkung“, erläutert der Ärztliche Direktor.
Wegen des schnell einsetzenden antidepressiven Effekts kommen Ketamine zum anderen auch bei akut suizidalen Patienten zum Einsatz. Der Effekt ist hier, dass das Verlangen, sich das Leben zu nehmen innerhalb von Stunden deutlich nachlässt.
„Ketamine sind als Infusionen sowie als Nasenspray in Deutschland zugelassen, wenn zwei klassische Antidepressiva im Vorfeld nicht gewirkt haben oder wenn eine akute Selbstmordgefährdung vorliegt. Sie sind ziemlich gut verträglich, wirken häufig schnell, breit und effektiv“, sagt Dr. Udo Polzer.
Ketamine sind gut wirksam beim Unterbrechen negativer Gedankenschleifen und Grübelkreisläufe. Sie nehmen dem Patienten die tiefsitzende Überzeugung, dass alles sinnlos sei. „Das ist, als sei man auf einer Art Autobahn, von der man nicht mehr herunterkommt. Die Ketamine aber scheinen die Autobahn zu unterbrechen, weil plötzlich wenig Glutamat vorhanden ist. Die Patienten können dann etwas zurücktreten und andere Gedankengänge werden möglich“, freut sich der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.

Er ist froh, seinen Patienten mit diesem neuen Ansatz bei der Behandlung schwerer Depressionen helfen zu können.

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