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Long COVID – die unterschätzte Folge der Pandemie - Asklepios Gesundheitsmagazin

Corona. Therapie.

Long COVID – die unterschätzte Folge der Pandemie

Bild: Abstrakte Darstellung des Virus

Was ist, wenn die Infektion geht, aber die Krankheit bleibt? Für Wochen oder Monate? Long COVID ist ein reales Risiko für offiziell Genesene.

10-15% leiden an Spätfolgen

Es sind zu viele, um das Problem zu ignorieren: „10 bis 15 Prozent der COVID-Patienten haben über den akuten Krankheitsverlauf hinaus Beschwerden“, sagt Dr. Florian Bornitz, ausgewiesener Beatmungsspezialist und Chefarzt an der Asklepios Klinik Barmbek. „Wenn wir nur zehn Prozent nehmen, sind es bei etwa vier Millionen mit dem Coronavirus infizierten Deutschen rund 400.000 Betroffene“, ergänzt Prof. Dr. Ralf Eberhardt, der die Barmbeker Lungenheilkunde als Chefarzt zusammen mit Dr. Bornitz leitet. Sein Spezialgebiet: interventionelle Pneumologie und damit der Einsatz modernster endoskopischer Verfahren in Diagnose und Therapie.

Die beiden Pneumologen sind Teil eines Netzwerks, das sich interdisziplinär mit einem Krankheitsbild beschäftigt, das in der Regel wenig klinische Befunde liefert. Dennoch sind Betroffene in ihrem Alltag deutlich eingeschränkt, teilweise sogar arbeitsunfähig.

Was ist Long Covid?

Bild: Frau mit Atembeschwerden

© iStock/484993608

Unter Long COVID wird eine Vielzahl unterschiedlicher Symptomezusammengefasst: Diese reichen von der sogenannten Fatigue, einer chronischen Erschöpfung, über LuftnotHerzrasenSchmerzenMagen-Darm-ProblemeSchlafstörungenKonzentrations- und Gedächtnisstörungen bis hin zu Ängsten und Stimmungsschwankungen.

Wegen der unterschiedlichen Folgen von COVID-19 ist ein fachübergreifendes Behandlungsangebot notwendig. Seit Frühjahr 2021 hat sich unter der Initiative von Dr. Marion Hagemann-Goebel, Leitende Psychologin im Zentrum für Verhaltensmedizin an der Asklepios Klinik Nord-Heidberg, ein interdisziplinäres Team zusammengefunden. Sie leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Günter Seidel, Chefarzt der Neurologie an der Asklepios Klinik Nord – Heidberg, die Long COVID Ambulanz. Dort entscheiden Experten aus den Fachdisziplinen Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Schmerztherapie, Rehabilitationsmedizin, Physiotherapie und Ergotherapie, Pneumologie und Kardiologie gemeinsam über Untersuchung und Weiterbehandlung.

Therapien gegen Corona-Spätfolgen

© Asklepios Kliniken

Long COVID zeigt sich in vielen Symptomen

Bild: Erschöpfter Mann

© iStock/1250206620

„Ganz oben auf der Liste der Long-COVID-Symptome steht ein andauernder Erschöpfungszustand“, sagt Prof. Seidel, „etwa 60 Prozent der Long-COVID-Fälle sind von Fatigue betroffen.“ Außerdem klage jeder dritte Post-COVID-Patient über Kopfschmerzen, bei 20 Prozent sei der Geruchssinn gestört. „Häufig sind auch Konzentrations- und Gedächtnisstörungen zu beobachten, der sogenannte Brain Fog“, so Prof. Seidel.

„Fatigue, Depressionen und Ängste kennen wir als Folgeerkrankungen bei Multipler Sklerose, Rheuma, Krebs, Diabetes, chronischen Schmerzen oder anderen Infektionserkrankungen“, sagt Dr. Hagemann-Goebel. „Das Problem bei Long COVID sind die vielen Betroffenen. Etwa 30 bis 40 Prozent haben psychische Beschwerden.“ Diese Begleiterscheinungen können nach Meinung aller Experten zu einem Problem werden, weil es in Deutschland nicht die Strukturen und Ressourcen gibt, sie adäquat zu therapieren.

Long COVID tritt offenbar unabhängig von der Schwere des Krankheitsverlaufs auf und kann auch Jüngere treffen. „Das Krankheitsbild ist komplex, es kann nicht einfach definiert, sondern muss individuell betrachtet werden“, sagt Dr. Gerasimos Varelis, Ärztlicher Direktor des Asklepios LungenZentrums (ALZ) Hamburg-West. Der Schwerpunkt des ALZ liegt in der personalisierten Diagnostik und Therapie schwerster Lungenkrankheiten. Als eine der wenigen Einrichtungen in Deutschland kann das ALZ pneumologische und thoraxchirurgisch Patienten gemeinsam behandeln. Varelis: „Bei einigen Patienten erleben wir eine Fibrosierung der Lunge, was deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. Bei anderen können wir keine Veränderungen in der Lunge feststellen, trotzdem sind diese Menschen stark angeschlagen und oft nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen.“

Long-COVID: 3 Fragen 3 Antworten

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Long Covid Risiken im Blick

Long COVID hat viele Gesichter – und kann die unterschiedlichsten Auslöser haben:

  • Post-Intensive-Care-Syndrom (PICS). Unter diesem Begriff werden Komplikationen nach einer intensivmedizinischen Behandlung zusammengefasst. Betroffen sind immer wieder Patienten nach einer Langzeitbeatmung. Sie finden Hilfe im sogenannten Weaningzentrum der Asklepios Klinik Barmbek. Dort werden unter ärztlicher Leitung von Dr. Florian Bornitz Betroffene von der Beatmungsmaschine entwöhnt.
  • Mikro-Infarkte und -Embolien. „Durch COVID ausgelöste Mikro-Infarkte und –Embolien können die kapillare Gefäßstruktur und Mikrozirkulation in der Lunge und im Gehirn verändern“, erklärt Pneumologe Prof. Eberhardt. „Das wäre eine mögliche Erklärung für Atembeschwerden und kognitive Einschränkungen.“
  • Unterschwellige, bereits vorhandene Erkrankungen. „Im Körper versteckt schlummernde Krankheiten können durch die Corona-Infektion aus der Latenz geholt und evident werden“, sagt Neurologe Prof. Seidel. So steht COVID 19 in Verdacht, das Epstein-Barr-Virus (EBV), mit dem 90 bis 95 Prozent der Menschen infiziert sind, zu reaktivieren. Es spricht einiges dafür, dass das EBV auch Erschöpfungssyndrome verstärken kann. „Daneben können z. B. vorbestehende leichte kognitive Störungen durch COVID verstärkt werden oder auch nur verstärkt bewusstwerden. Wir müssen da also zwischen einer zeitlichen und einer kausalen Verbindung zu COVID unterscheiden“, erläutert der Chefarzt.
  • Weitere Auslöser können das Fortbestehen von Viren oder Virenbestandteilen im Körper sein oder fortbestehende Entzündungsreaktionen sowie neu entstandene Autoimmunphänomene.

Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie (DGP) hat in Kooperation mit weiteren Fachgesellschaften inzwischen einen klinisch-praktischen Leitfaden zu Post-COVID/Long COVID herausgegeben – eine diagnostisch-therapeutische Orientierung auf dem Boden einer sehr häufig noch begrenzten Datenlage, wie es in der S1-Leitlinie heißt. „Klar ist: Weil diese Krankheit so viele Facetten hat, braucht es dafür eine interdisziplinäre Leitlinie“, sagt Dr. Marion Hagemann-Goebel.

Behandlungsangebote für Long-COVID-Patienten gibt es noch nicht ausreichend. „Hinzu kommt, dass viele Menschen sich nicht zum Arzt trauen“, sagt Dr. Bornitz. „Long COVID hat als Krankheit leider ein Stigma. Man ist müde, schlapp und schafft nichts. Die Krankheit ist für Außenstehende schwer zu verstehen. Es heißt eher: ‚Reiß dich mal zusammen, du warst ja nicht einmal im Krankenhaus.‘ Das macht es für Menschen schwierig, Hilfe zu finden.“ Erste Anlaufstelle bei Verdacht auf Long COVID sollte die Hausärztin oder der Hausarzt sein. Sehen diese weiteren Behandlungsbedarf, sind Spezialangebote wie die der Long COVID Ambulanz sinnvoll.

Long-COVID – Wie bewältige ich die Folgen einer Coronainfektion

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