Fehlbildungen

Fehlbildungen sind in der pädiatrischen Neurochirurgie häufig anzutreffen. Zum einen unterscheidet man Fehlbildungen des Schädels, des Gehirns, der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Oft handelt es sich um Kombinationen von Fehlbildungen. Gefäßfehlbildungen werden in der Sektion vaskuläre Neurochirurgie besprochen.

Schädelfehlbildungen

Nahtsynostosen (Skaphozephalus, Plagiozephalus, Brachyzephalus, Trigonozephalus, Oxyzephalus, Turrizephalus, Kleeblattschädel)

Die Schädelfehlbildungen sind oft bereits im frühesten Kindesalter erkennbar. Nahtsynostosen (Syn. Kraniosynostosen) sind keine anlagebedingte Fehlbildung im eigentlichen Sinn, sondern entwickeln sich im Verlauf. Zum Teil können sie schon vor der Geburt manifest werden. Sie sind nicht selten genetisch bedingt und kommen bei bekannten kraniofazialen Syndromen vor (M. Crouzon, Apert-Syndrom, Pfeiffer-Syndrom etc.).

Die Hauptindikation für eine Operation besteht in einem zunehmend gesteigerten Hirndruck, der unbehandelt zur Erblindung und fortschreitender Demenz führt. Darüber hinaus spielen kosmetische Aspekte eine große Rolle. Die günstigsten postoperativen Ergebnisse werden bei frühzeitigen Eingriffen, dass heißt, um den 6. Lebensmonat, erzielt. Somit besteht das Hauptrisiko einer derartigen Operation in einem hohen Blutverlust. Ein erfahrenes Team von Neurochirurgen, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Anästhesisten ist daher Grundvoraussetzung für die Durchführung derartiger Prozeduren.
Bei Enzephalozelen ist in der Regel ebenfalls eine frühzeitige Rekonstruktion indiziert.

 

Hirnfehlbildungen

Anenzephalus
Fehlbildungshydrozephalus (z.B. Dandy-Walker-Malformation)
Arachnoidalzysten
Enzephalozelen
Holoprosenzephalie
Hydranenzephalie
Schizenzephalie
CHIARI-Malformation

Hirnfehlbildungen stellen eine heterogene Gruppe von Erkrankungen dar, die entweder das Hirngewebe selber, aber auch die Hirnhäute betreffen. Die hier aufgeführte Liste ist unvollständig, zeigt aber die häufigsten Varianten, die einen neurochirurgischen Eingriff erforderlich machen, mit Ausnahme des Anenzephalus.

In den meisten Fällen werden Liquorableitungen notwendig. Arachnoidalzysten sollten bei Hirndrucksymptomatik soweit dies möglich ist, endoskopisch, offen oder auch endoskopisch assistiert gefenstert werden.

Bei der CHIARI-Fehlbildung ist die sogenannte hintere Schädelgrube relativ zu klein angelegt. Neben einem steil gestellten Kleinhirnzelt findet man ein Tiefertreten der Kleinhirntonsillen (Typ I) oder sogar von Hirnstamm, IV. Ventrikel und Tonsillen (Typ II) bis in den Spinalkanal, was zu einer Kompression auf das Rückenmark führt. Daraus resultieren zum einen eine Syringomyelie (Liquor im Zentrum des Rückenmarks) aber auch neurologische Ausfälle (Hirnnervenlähmung, Schluck- und Atemstörungen, Kreislaufregulationsstörungen, Lähmungen und Missempfindungen der Arme und seltener auch der Beine) oder eine neuromuskuläre Skoliose.

Die CHIARI-Fehlbildung Typ II ist zumeist mit dem Vorhandensein einer Myelomeningozele assoziiert.

Dysraphie

Die meisten der hier aufgezählten Fehlbildungen werden den sogenannten Dysraphien zugeordnet. Der Begriff leitet sich von dem griechischen Wort raphe = Naht ab und steht für eine defekte Anlage oder einen gestörten Schließungsprozess der primären Neuralplatte.
Zu den Dysraphien zählen zum einen die Spina bifida aperta (Synonym: Myelomeningozele) und die Spina bifida occulta. Assoziierte Fehlbildungen sind Verschlussstörungen der knöchernen Hüllen (Anomalien der Wirbelsäulenstrukturen, z.B. inkompletter Bogenschluß).

Oftmals finden sich kutane Stigmata und orthopädische Fehlbildungen.
 
Intrakranielle Fehlbildungen im Rahmen der Dysraphien sind Ventrikelfehlbildungen, Balkendysgenesie, Dandy-Walker-Komplex/Zyste und Chiari Malformationen.

Gelegentlich kann es problematisch sein, die Ursache einer neurologischen Symptomatik oder Verschlechterung im Rahmen einer spinalen Dysraphie einer eindeutigen Pathologie zuzuordnen. Es ist immer notwendig, die gesamte kraniospinale Achse bildtechnisch zu untersuchen. Röntgennativaufnahmen und Kernspintomographien sollten immer, Computertomographien in Einzelfällen, z.B. zur axialen Beurteilung knöcherner Spinalkanalstrukturen, angefertigt werden.

Dysraphische Krankheitsbilder können zu einer Syringomyelie führen, z.B. bei CHIARI-Malformation oder bei dem sogenannten Tethered-Cord-Syndrom, das oftmals bei spinalen Dysrahien anzutreffen ist.
Das Tethered-Cord-Syndrom beschreibt einen symptomatischen Spannungszustand des Rückenmarks, z.B. bei zu tiefer Fixierung durch eine Fehlbildung. Dabei kommt es zunächst zu einem vaskulären Stress mit anschließenden metabolischen und schließlich strukturellen Veränderungen des Rückenmarks. Ein Tethered-Cord-Syndrom stellt immer eine Operationsindikation dar.
Liegen noch keine Symptome, wie z.B. Lähmungen, Gefühlsstörungen, Blasen-Darmentleerungsstörungen oder orhopädische Veränderungen (Skoliose) vor, so handelt es sich nur um ein Tethered Cord, was zunächst nur regelmäßig kontrollbedürftig ist.

Formen der spinalen Fehlbildung
 
Keilwirbel
Blockwirbel (z.B. Klippel-Feil-Syndrom)
Spina bifida aperta
Myelomeningozele (anterior und posterior)
Spina bifida occulta
Diastematomyelie
Lipomeningozele
Dermalsinus
(Epi)dermoidtumoren
verdicktes Filum terminale
caudales Agenesiesyndrom
Neurenterische Zyste
Segmentationsstörungen
Störungen des kranio-zervikalen Überganges (z.B. basiläre Impression)

Symptome und Befunde bei spinalen Fehlbildungen
 
Kutane Stigmata
Hypertrichose
kapilläres Hämangiom
Dermalsinus
subcutanes Lipom
caudaler Appendix

Orthopädische Fehlbildungen
Fuß-/ Beinfehlbildungen bzw. - asymmetrien
Skoliosis
Hüftdysplasie

Urologische Störungen
Neurogene Blase
chron. Harnwegsinfekte
Inkontinenz

Neurologische Zeichen / Symptome
Säugling
reduzierte Spontanbewegung der unteren Extremität(en)
fehlende MER
Beinatrophie
Fuß-/Beinasymmetrie

Kleinkind
Entwicklungsverzögerung (Laufen)
Gangstörung

Schulkind
asymmetrische Lähmungen und Gefühlsstörungen
schmerzlose Fußverletzungen (Blasen etc.)
Zeichen der " langen Bahnen"
Rücken- und Beinschmerzen

Erwachsener
Rücken- und Beinschmerzen
Spastik
Hyperreflexie

Pathologische Röntgenbefunde

Wirbelbögen
Defekt, Fusion, Malformation, prominenter Prozessus spinosus
 
Wirbelkörper
verkürzter a-p-Durchmesser, Sagittalspalte, Halbwirbel, Schmetterlingswirbel, Blockwirbel
 
Pedikel
Arosion, Abflachung, Doppelanlage
Spinalkanal
erweiterter Interpedunkularabstand
 
Anlagestörungen
reduzierte Anzahl von Wirbelkörpern, fehlender Wirbelkörperanteil, Sakrumagenesie / -dysgenesie
Spinale Kurvatur
Skoliose, Kyphose, Lordose, Kombinationen
Knochensporn der Spinalkanalmittellinie

 

Myelomeningozele (Spina bifida aperta)

Die Myelomeningozele kommt auch heutzutage noch vor, obwohl durch die verbesserte Pränataldiagnostik und Folsäureprophylaxe die Inzidenz rückläufig ist.

Oftmals ist das Vorliegen einer Myelomeningozele bereits vor der Geburt durch die ausführliche Sonographie des Fötus bekannt. Je nach Ausmaß und Höhe der Myelomeningozele und mögliche zusätzliche Fehlbildungen, insbesondere ein Hydrozephalus bei gleichzeitiger CHIARI-Fehlbildung, sind mehr oder weniger ausgeprägte neurologische Störungen zu erwarten. Entsprechend werden die Eltern beraten.

Sind weniger gravierende Behinderungen zu erwarten, besteht oftmals der Wunsch, das Kind auszutragen. Es ist wichtig, bereits in dieser frühen Phase die Eltern darüber zu informieren, dass nicht nur ein "offener Rücken" vorliegt, sondern oft weitere Fehlbildungen und Folgeerkrankungen zu erwarten sind. Eine Vielzahl von operativen Eingriffen und lebenslange Kontrolluntersuchungen sind die Regel. Neben dem Hydrozephalus kommen die CHIARI-Fehlbildung Typ II, Fuß- und Hüftdeformitäten, Fehlhaltungen der Wirbelsäule (Skoliosen, Kyphosen, Lordosen) sowie Blasen-und Mastdarmentleerungsstörungen bis hin zur Niereninsuffizienz vor. Nicht selten bestehen auch Sehstörungen (insbesondere Schielen).

Die operative Versorgung einer Myelomeningozele erfolgt normalerweise am Tag der Geburt, um eine Infektion von Liquor und Neurostrukturen zu vermeiden. Dabei wird eine Rekonstruktion der jeweils nicht geschlossenen Schichten vorgenommen. Nach einigen Tagen stellt sich dann in bis zu 80% der Patienten ein Hydrozephalus ein, der durch tägliche Ultraschalluntersuchungen kontrolliert wird. Bei zunehmender Ventrikelweite wird dann ein ventrikulo-peritoneales Ventil zur Hirnwasserableitung eingelegt.

Alle Formen der spinalen Dysraphien werden regelmäßig und zeitlebens nachkontrolliert. Derartige interdisziplinäre Kontrollen umfassen neben den neurochirurgischen Krankheitsbildern (Myelomeningozele, Hydrozephalus, CHIARI-Fehlbildung) die orthopädischen Probleme (Fuß- und Hüftdeformitäten, Skoliose, Kyphose), die Funktionen des Urogenitaltraktes und schließlich den Augenstatus.

Seite teilen: