Gastbeitrag: Return to sport – vom sportlichen Wiedereinstieg nach einer Kreuzband-OP

Handballprofis wie HSVH-Keeper Johannes Bitter haben bereits am eigenen Leib erfahren, was diese Diagnose bedeutet: Kreuzbandrisse stellen Profi-, aber auch Freizeitsportler:innen vor enorme Herausforderungen und eine ungewisse Zukunft. Doch es gibt eine gute, recht neue Methode, um herauszufinden, wann der Körper wieder belastbar ist…

Eine Kreuzbandriss-Verletzung ist langwierig, das Vertrauen in den Körper infolge der Verletzung zumeist stark erschüttert. Oftmals bleibt nur die Option einer Operation, um die Stabilität des Knies wiederherzustellen. Für Profi- und ambitionierte Freizeitsportler:innen keine leichte Situation. Sie fragen sich: Wann ist der richtige Moment, um nach einer Behandlung wieder ins Training einzusteigen und aktiv zu werden?

In der Vergangenheit lautete die Pauschalantwort darauf oftmals: nach sechs Monaten. Doch die Praxis zeigt: Diese Zeitformel trifft im Hinblick auf die allermeisten Patient:innen leider nicht zu. Insbesondere auch deshalb, weil die Genesung von unterschiedlichen Faktoren abhängt. So spielt einerseits die Qualität der Operation eine bedeutende Rolle – andererseits gilt die Nachbehandlung als ebenso entscheidend für den Behandlungserfolg. Sprich: Eine perfekt gelaufene OP kann sich im schlimmsten Fall als mehr oder weniger nutzlos erweisen, sofern die Reha-Maßnahmen nicht optimal auf die Patientin oder den Patienten abgestimmt sind und durch die Betroffene oder den Betroffenen plangenau und akribisch betrieben werden.

Individuelles Nachbehandlungsschema bei Kreuzbandriss

Dementsprechend erhalten unsere Patient:innen in St. Georg nach jeder Operation ein individuell erstelltes Nachbehandlungsschema, in dem wochen- und monatsweise detailliert festgelegt und aufgeführt ist, welche Maßnahmen zu treffen und welche Belastungen erlaubt sind: Wann darf die oder der Behandelte wieder erste Schritte gehen? Wann sind Gleichgewichtsübungen, wann der Kraftaufbau und wann komplexe Bewegungsmuster erlaubt? All das wird individuell festgelegt und vorgegeben.

Vor diesem Hintergrund ist die Sechs-Monats-Grenze für den Wiedereinstieg in die vor der Verletzung betriebene Sportarten längst überholt. Vielmehr wird heutzutage nach einem halben Jahr ein Status quo erhoben: Wir untersuchen unsere Patient:innen mithilfe einer instrumentellen Stabilitätsmessung, bei der Beweglichkeit, Schwellungen und Stabilität des Knies überprüft werden. Festgehalten wird der Zustand im sogenannten International-Knee-Documentation-Committee-Score, kurz IKDC, der Auskunft über die allgemeine Funktion gibt. Auf diese Weise lässt sich effizient eruieren, ob das Knie reizfrei und unter objektiven Kriterien stabil ist.

Return-to-sport-Test liefert wertvolle Informationen

Die Untersuchung gibt einen ersten Hinweis auf den Behandlungserfolg. Nichtsdestoweniger existiert eine entscheidende Unsicherheitsvariable: Wir wissen zu diesem Zeitpunkt nichts über die Qualität der funktionalen Rehabilitation, das heißt, wie gut beispielweise die Feinkoordination der Muskeln und deren Schnell- oder Maximalkraft wiederhergestellt sind. Aus diesem Grund führen wir in St. Georg zusätzlich den sogenannten Return-to-sport-Test durch. Er beinhaltet unterschiedliche Übungen, gibt Hinweise auf Balance, Schwerkraft, Koordination sowie Maximalkraft und umfasst fernerhin ein Präventionstraining für gefährliche Bewegungsmuster für eine erneute Kreuzbandverletzung – beispielsweise für den Fall, dass das Knie bei Belastung nach Innen knickt. Denn fest steht: Bei zu starker Last kann eine eingesetzte Ersatzplastik im Knie reißen.

Profisportler:innen führen den Return-to-sport-Test in der Regel bereits als gesunde Athlet:innen durch – auf diese Weise hat man nach einer Verletzung eine Vergleichsmöglichkeit und kann die Stabilität des betroffenen Knies besser beurteilen. Im Hinblick auf die Bewertung der Knie von Freizeitsportler:innen ermöglicht der Test derweil eine deutlich verbesserte Prognose als die pauschale Sechs-Monate-Regel für den sportlichen Wiedereinstieg, denn an dieser Stelle wirken Informationen aus drei verschiedenen Dimensionen zusammen: die Untersuchungsergebnisse des Arztes, die Angaben der Patientin oder des Patienten sowie die Ergebnisse des Return-to-sport-Tests. Sind die Signale in allen drei Kategorien durchweg positiv, steht einem sportartspezifischen Training nichts mehr im Wege. Fallen die Ergebnisse indes eher durchwachsen aus, müssen Defizite aufgedeckt und ein gezielt unterstützendes Training eruiert werden. Und ergibt die Bewertung aller drei Kategorien ein rundum negatives Bild, sollten die Tests nach zwei bis drei Monaten wiederholt und ggf. das OP-Ergebnis rekapituliert werden. An einen Wiedereinstieg in das Trainingsgeschehen ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken.

Erneute Verletzung vermeiden

Das hier aufgeführte Prozedere ist keinesfalls Standard, doch es hat sich gezeigt, dass eine derart akribische Betrachtung wichtig für die umfassende Beurteilung der Knie-Stabilität ist. Darauf deuten auch die Zahlen der Rerupturrate, also die Zahlen des erneuten Reißens einer Ersatzplastik, nach einer Kreuzband-Operation. In Abhängigkeit vom Alter der Betroffenen, der praktizierten Sportart sowie weiterer Begleiterscheinungen liegt der Wert immerhin bei zwei bis 20 Prozent. Dies allein spricht dafür, den Return-to-sport-Test ernst zu nehmen und sich nicht auf vage Prognosen oder Zeitformeln zu verlassen.

Übrigens: Wenn Sie hören oder lesen, dass beispielsweise Handball- oder Fußballprofis nur vier Monate nach einem Kreuzbandriss wieder Spiele bestreiten, sollten Sie diese Nachricht nicht als Referenz für die Allgemeinheit verstehen. Profisportler:innen bringen andere Voraussetzungen für den Genesungsprozess mit. Sie sind maximal motiviert, ihren Leistungsstand zurückzuerlangen, verdienen mit dem Sport ihren Lebensunterhalt und gehen aus diesem Grund häufig auch ein höheres Risiko ein, wenn sie auf das Spielfeld zurückkehren. Lassen Sie sich von solchen Meldungen also nicht verunsichern und vertrauen Sie dem Urteil Ihrer behandelnden Ärztin und oder Ihres behandelnden Arztes. Die Expert:innen werden wissen, wann der ideale Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg in Ihre Disziplin ist.

Herzlichst

Ihr PD Dr. Peter Behrendt

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