#Dasein trotz bürokratischer Hürden

Zusatzbelastung fürs Personal: Bürokratie im deutschen Krankenhauswesen

Bild: Acht unterschiedliche Situationen zeigen unter anderem Büroarbeit, spielende Kinder, Wald und eine Stadt von oben

Die wichtigste und bedeutendste Aufgabe von Ärztinnen, Ärzten und Pflegekräften? Patient:innen  bestmöglich behandeln und versorgen. Doch horrende bürokratische Vorgaben im deutschen Gesundheitswesen erschweren dem Klinikpersonal diese Kernaufgabe und hinterlassen Spuren im Bereich der Versorgung von Patient:innen.

Dokumente ausfüllen, Informationen in Computersysteme eintragen, Stellungnahmen zu Abrechnungen verfassen – die bürokratischen Vorgaben an das Klinikpersonal im deutschen Gesundheitssystem sind hoch. Manches ist vertretbar – etwa zwecks Qualitätssicherung und zur Optimierung der Behandlungsmaßnahmen. An vielen Stellen jedoch wirken die Dokumentationspflichten überzogen und unpassend. Zumal die Zeit, die Mediziner:innen und Pflegekräfte für Bürokratisches aufwenden, zulasten der Versorgung von Patientinnen und Patienten geht.

Im Rahmen einer Mitgliederbefragung des Marburger Bundes (MB-Monitor 2019) gaben 35 Prozent der Ärztinnen und Ärzte an, mindestens vier Stunden am Tag mit Verwaltungstätigkeiten befasst zu sein (zum Vergleich: 2013 waren es noch acht Prozent). 25 Prozent bemerkten, täglich drei Stunden für die Verwaltungsarbeit aufzubringen; 26 Prozent schätzen den tagtäglichen Aufwand auf zwei Stunden und 14 Prozent auf eine Stunde ein. Kostbare Zeit, die die Mediziner:innen deutlich effizienter nutzen könnten.

Bürokratieaufwand durch überbordende Kontrollen

Ähnliche Zahlen ergaben sich im Rahmen einer von Asklepios beauftragten und durch das Marktforschungsinstitut Schlesinger 2021 durchgeführten bundesweiten Befragung von 200 Pflegekräften (davon 100 aus Krankenhäusern und je 50 aus Pflegeheimen sowie ambulanter Versorgung): Demnach wendet knapp ein Viertel der Pflegenden über die Hälfte der Arbeitszeit für Bürokratie auf, im Mittelwert entspricht dies 42 Prozent der Arbeitszeit. Zwei Drittel der Befragten stellten in den letzten fünf Jahren eine deutliche Zunahme der Bürokratie fest. Vor diesem Hintergrund erachteten die meisten Pflegekräfte die Verringerung der Bürokratie sowie mehr Zeit für Patient:innen zu haben als wichtigste Verbesserungsbedarfe in ihrem Berufsfeld. Nur jede/r Zehnte war vom Ausmaß der Bürokratie nicht frustriert.

Dabei spielen in zunehmendem Maße auch die überbordenden Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) eine Rolle. „In zwei Millionen von 20 Millionen Fällen lösen MDK-Prüfungen Rechtfertigungsbürokratie aus.“ – so lautet die Einschätzung von Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Angesichts dessen seien Reformen notwendig. Ziel müsse es sein, den Bürokratieaufwand um die Hälfte zu reduzieren. Zumal der Aufwand mit keinerlei Nutzen für die Patient:innen verbunden ist: Auf die Behandlungsqualität hat er keinen Einfluss. Vielmehr wirkt er als Hebel der Kostenträger, um die Ausgaben für erbrachte medizinische Leistungen zu mindern oder gar zu vermeiden.

Bestätigt wird der Eindruck durch das medizinische Personal: 93 Prozent der Klinikärztinnen und -ärzte erleben die Dokumentationsvorgaben und Rückfragen des MDK als „Misstrauenskultur“. 79 Prozent nehmen in den letzten Jahren diesbezüglich eine Steigerung wahr. Das ergab eine Studie der Asklepios Gruppe 2019. 85 Prozent der Stationsärztinnen und -ärzte sowie 68 Prozent der leitenden Ärztinnen und Ärzte fühlen sich dadurch frustriert.

Politik und Krankenkassen müssen handeln

Hinzu kommt: Durch ständig neue Personalvorgaben in den verschiedenen Leistungsbereichen, die Ausweitung von Anwesenheitspflichten anstelle von telefonischem Bereitschaftsdienst sowie den Zwang zur Dokumentation jeglicher Qualifikation aller beteiligten Arbeitskräfte bis ins letzte Detail werden die Arbeitskapazitäten künstlich begrenzt. Die regulative Last bindet zusätzliche Kräfte zulasten der Versorgung von Patient:innen.

Entsprechendes gilt übrigens auch im Hinblick auf den MDK. Mittlerweile beschäftigt die Einrichtung mehr als 10.000 Mitarbeiter:innen (ca. 4000 im Bereich Pflege und 2500 Ärztinnen und Ärzte), die zur Prüfung abgestellt sind. Sie stehen dementsprechend nicht als Fachkräfte zur Verfügung; vielmehr müssen die Kliniken zur Erledigung von Anfragen der Prüfer:innen selbst viel Personal einsetzen, welches schließlich ebenfalls bei der Versorgung fehlt.

Das Klinikpersonal stößt angesichts dieser Aspekte an seine Grenzen: So denkt jede fünfte Klinikärztin bzw. jeder fünfte Klinikarzt (21 %) laut MB-Monitor 2019 angesichts der wachsenden Belastungen inzwischen über einen Berufswechsel nach. 

In Anbetracht dieser Lage ist es zwingend notwendig, dass Politik und Krankenkassen die ärztlichen und pflegerischen Tätigkeiten entbürokratisieren und effiziente Reformen vorantreiben. Realisieren ließe sich dies unter anderem durch eine Beschränkung der Dokumentationspflichten auf für das Wohlergehen der Patient:innen sinnvolle Kriterien sowie mithilfe einer systematischen Digitalisierung. Es besteht dringender Handlungsbedarf.

Vice versa weitet die Politik die bürokratischen Maßnahmen jedoch aus, wie unter anderem die Einführung der aktualisierten Pflegepersonal-Regelung PPR 2.0 belegt. Doch Regulierung und Bürokratie generieren keine Fachkräfte und retten keine Leben. Das Gegenteil ist der Fall.

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