Morgens Stationsleitung, abends pferdegestützer Coach

Sie sei schon immer etwas „pferdeverrückt“ gewesen, sagt Jennifer Liffers, Stationsleitung der Interdisziplinären Intermediate Care (IMC) am Asklepios Klinikum Harburg – und hat ihr Hobby zum Zweitberuf gemacht: In ihrer Freizeit bietet die gebürtige Hamburgerin pferdegestützte Coachings an – gemeinsam mit ihrem haarigen Kollegen Watson.

Bild: Pferdegestütztes Coaching
©iStock

Es sind die letzten Minuten des Coachings. Jennifer Liffers (36) reicht ihrer Klientin Tamara Schmidt* (38) ein paar Hütchen und bunte Schwimmnudeln und bittet sie, mithilfe der Utensilien einen Raum auf dem Boden abzugrenzen, der nur ihr gehört und den Pferd Watson, Liffers’ tierischer Co-Trainer, nicht betreten darf. Schmidt greift ein orangefarbenes Hütchen.

Sie hält einen Moment lang inne, lässt ihren Blick in Richtung der benachbarten Pferdekoppel schweifen. Plötzlich steigen der jungen Frau Tränen in die Augen, und sie beginnt hemmungslos zu weinen. „Ich habe gar keinen eigenen Raum in meinem Leben!“, sagt Tamara Schmidt mit brüchiger Stimme – und binnen Sekunden entladen sich über Monate, vielleicht sogar über Jahre aufgestaute Emotionen. „Das war der entscheidende Moment“, resümiert Jennifer Liffers im Nachgang. „In dieser Situation hat die Klientin sich und ihr Leben reflektiert und ein wesentliches Problem identifiziert, an dem sie fortan arbeiten kann.“

Pferde triggern Emotionen

Es sei das ideale Ergebnis eines pferdegestützten Coachings, betont Liffers und fügt hinzu, dass das Beratungsangebot nicht mit einer Pferdetherapie zu verwechseln sei. „Beim pferdegestützten Coaching geht es primär darum, im Verborgenen liegende Probleme zu entlarven – es wird nicht geritten und Klienten benötigen keinerlei Vorerfahrung. Die Pferde triggern vielmehr ihre Emotionen, sie geben ihnen unmittelbar und wertschätzend Feedback und identifizieren auf diese Weise Konflikte, die für uns Menschen häufig nicht ersichtlich sind.“ Bei Pferdetherapien und therapeutischem Reiten hingegen gehe es darum, oftmals bereits diagnostizierten Erkrankungen wie ADHS, Angststörungen oder auch Autismus entgegenzuwirken. „Das ist ein zentraler Unterschied“, so Liffers.

Die 36-Jährige bietet die Coachings seit November vergangenen Jahres im niedersächsischen Seevetal an – und das parallel zu ihrem eigentlichen Beruf als Stationsleitung der Interdisziplinären Intermediate Care (IMC), Station 11a, am Asklepios Klinikum Harburg. Wie es dazu kam? „Mit Mitte 30 habe ich noch einmal einen Entwicklungsschub gemacht“, sagt Liffers und lacht. Eine Freundin habe ihr das Hörbuch „Das Café am Rande der Welt“ nach dem Literatur-Bestseller von John Strelecky empfohlen. „Darin werden wesentliche Fragen aufgeworfen: Wonach streben wir? Was ist der Sinn von allem? Darf es leicht sein? Das hat mich nachdenklich gestimmt, und ich wollte etwas in meinem Leben verändern.“

Coachings als Ausgleich

Pferde seien schon immer „ihr Thema“ gewesen, sagt Liffers, also habe es nahegelegen, das Hobby zum Zweitberuf zu machen und der Passion mehr Raum zu geben. Ein Schritt, den die Mutter eines achtjährigen Sohnes, die nebenbei auch noch Wirtschaftspsychologie studiert, bis dato nicht bereut hat. „Für mich sind die Coachings ein wunderbarer Ausgleich – auch zur Arbeit auf Station“, sagt sie. „Hier auf der Pferdekoppel kann ich durchatmen, den Kopf freibekommen, neue Kraft tanken. Das ist keine zusätzliche Belastung – es fühlt sich vielmehr leicht und unbeschwert an.“

Ihren Job im Asklepios Klinikum Harburg wolle sie jedoch keinesfalls missen. „Als Fachkrankenschwester arbeite ich definitiv in meinem Traumberuf“, sagt Liffers. „Insbesondere die Arbeit im Bereich Intensivmedizin erfüllt mich sehr, da man hier mitdenken, beobachten, schnell handeln und Entscheidungen treffen muss, um schwer kranken Patienten zu helfen.“ Ein Prinzip, das in ähnlicher Form auch bei pferdegestützten Coachings zum Einsatz kommt. „Ich beobachte Mensch und Pferd, lese die Zeichen und übersetze sie, sodass Probleme offenkundig werden und die Betroffenen fortan gegensteuern können“, so Liffers. „Es geht darum, Transparenz zu schaffen – und das ist auch im Klinikalltag von entscheidender Bedeutung.“

Einen Watson hat die Hamburgerin auf Station zwar nicht dabei – dafür aber andere tolle Kolleginnen und Kollegen, die mindestens genauso aufmerksam und akribisch sind wie das 13 Jahre alte Schwarzwälder Kaltblut. „Die Teamarbeit macht beide Jobs besonders“, sagt Liffers. „Da stehen sich Klinikum und Koppel in nichts nach.“

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.

Seite teilen: