21. Ringvorlesung: Geburtshilfe

Auf jeden Fall die erste, wahrscheinlich aber nicht die letzte Online-Ringvorlesung „Asklepios Centers of Excellence“ hat PD Dr. med. Holger Maul am 23. April 2020 über das „Center of Excellence Frauenklinik Hamburg Nord-Ost“ gehalten.

20200504_B1_RV21
PD Dr. Holger Maul hielt die 22. Ringvorlesung "Asklepios Centers of Excellence am ACH" online.

Das Center, angebunden an die Asklepios Kliniken Barmbek, Nord/Heidberg und Wandsbek, arbeitet standortübergreifend in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe zusammen. In der einstündigen Vorlesung am 23. April, an der die sonst bei den Ringvorlesungen vor Ort anwesenden Studierenden diesmal online teilnahmen, ging der Chefarzt vor allem der sogenannten „Sectio-Frage“ nach. Er schilderte die individuelle oder medizinische indizierte Entscheidung zwischen einem Kaiserschnitt oder einer spontanen Geburt wie auch den von den Medien aufgebauschten „ewigen Konflikt zwischen Ärzten und Hebammen“. Dieser Streit der Berufsgruppen werde der Thematik aber keinesfalls gerecht. Bräuchte die Vorlesung von Dr. Holger Maul eine Überschrift, dann lautete diese „sowohl – als auch“.

In Deutschland liegt die Kaiserschnittrate aktuell bei ca. 30 Prozent. Bereits am Anfang seiner Vorlesung schloss der Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe ganz klar aus, dass ein finanzieller Interessenkonflikt oder gar ein Industriesponsoring bei diesem Thema irgendeine Rolle spielten. Im Gegenteil: „Asklepios unterstützt grundsätzlich die Senkung der aktuellen Sectiorate“, stellt Dr. Maul klar. Eine Entscheidung werde grundsätzlich auf Basis der medizinischen Indikation sowie des Wunsches der Mutter bzw. der Eltern getroffen. „In unserem Excellenzzentrum bieten wir sogar auch Frauen, die bereits mehr als eine Sectio hinter sich haben, an normal zu gebären. Die Entscheidung für oder gegen einen geplanten Kaiserschnitt hängt aber immer auch von der Frage ab, ob es sich durch Beckenend- oder Schräglage des Kindes, als Mehrlings- oder Frühgeburt, um eine Risikogeburt handelt. Sekundäre Kaiserschnitte, die sich unter der Geburt nahelegen, werden nie leichtfertig gemacht. Es ist dabei unerlässlich und erfordert hohe kommunikative Kompetenz, mit der Mutter bzw. den Eltern während der Wehen zu einem Konsens zu kommen, wie weit man „den normalen Weg zu gehen bereit ist“, welche Risiken welches Vorgehen auch immer haben kann und vieles mehr.“

20200512_B2_Forschungsaktivitäten

Die Sectiorate ist nach Auffassung von Dr. Maul niemals ein geeigneter Qualitätsparameter für eine Klinik. Wenn eine Klinik viele Risikoschwangere betreut und dann auch noch dem geplanten Kaiserschnitt gegenüber offen ist, hat sie automatisch mehr Kaiserschnitte als eine Klinik, die den Kaiserschnitt „in schwarzen Farben malt“ und Kaiserschnitte „um jeden Preis“ vermeiden möchte. Seiner Erfahrung nach werden Folgen einer Spontangeburt dann gern bagatellisiert, die Folgen einer Sectio dagegen dramatisiert. Wenn Kliniken, die die Sectio um jeden Preis vermeiden wollen, dann bei 20% Sectiorate liegen, ist das eigentlich sehr schwach. Entscheidend ist, wie hoch die Rate an Kaiserschnitten bei denjenigen Frauen ist, die normal gebären wollten und sollten und dann trotzdem einen Kaiserschnitt erhalten haben. Aufgrund der multifaktoriellen Ursachen für einen Kaiserschnitt kann aber genau diese Frage praktisch niemand für die eigene Klinik beantworten. Eigenen Recherchen zufolge liegen sie bei und je nach Monat zwischen 12% und 18%. 

Auch ist Dr. Maul der Überzeugung, dass Geburtshelfer und Hebammen in der Frage des Geburtsmodus das eigene Ego in den Hintergrund stellen sollten. „Unsere Kernaufgabe ist es grundsätzlich, bei einer Geburt so zu unterstützen, dass am Ende alles weitgehend gut geht. Wie man an dieses Ziel gelangt, ist eine Entscheidung, die man gemeinsam trifft. Dabei ist es meiner Meinung nach jeder Frau überlassen, sich das auszusuchen, was am besten zu ihr passt, welches Sicherheitsbedürfnis sie hat, welche Ansprüche an Planbarkeit und vieles mehr. Wir Ärztinnen und Ärzte sollten möglichst wenig tun, um übertrieben Einfluss zu nehmen oder aus falschem Ehrgeiz einen Kaiserschnitt vermeiden zu wollen – das endet nicht selten mit einer unter Umständen traumatischen Zangengeburt“, warnt der Experte.

Nach wie vor gelte aber, dass bei einem Kaiserschnitt Nachteile für Mutter und Kind nicht von der Hand zu weisen seien; dies sei auch das Ergebnis einer Zusammenschau unterschiedlicher Studienergebnisse aus den vergangenen Jahren. Geburtsrisiken seien leider nie vorhersehbar, absolute Sicherheit gebe es ohnehin nicht. Dennoch sei laut Untersuchung der World Health Organisation (WHO) eine Sectiorate von mindestens 19% (auf ein ganzes Land bezogen!) erforderlich, um eine möglichst niedrige Kinder- und Müttersterblichkeit zu erreichen. Eine weitere Erhöhung der Kaiserschnittrate in einem Land (bis 55%) führe nicht zu einem Wiederanstieg der Sterblichkeitsraten bei Kindern und Müttern, senke diese aber auch nicht weiter ab.

Als Take-home-Message des Abends diente der Abschlusssatz des Referenten: „Das Einzige, was zählt, ist, dass die Entscheidung aus Sicht der Schwangeren auch über Jahre hinweg im Nachhinein richtig war.“ Der größte Unterschied zwischen Präsenz- und Online-Vorlesung zeigte sich erst nach Ende der Veranstaltung: Zahlreiche namentliche Rückmeldungen mit „dankeschön/danke/vielen Dank!“ sowie ein „Danke fürs Zuhören“ des Referenten zeugten von einer ganz neuen Interaktivität, die dem Online-teaching eine ganz neue persönliche Note gab.

Nächste Ringvorlesung:

17. September 2020: Dr. med. Thomas Wißmeyer, AK Lindau - Endoprothetik

Seite teilen: