Heftige Affekte und quälende Leere

Dr. Uwe Wutzler: Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist durch starke Stimmungsschwankungen gekennzeichnet.

„Bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung handelt es sich um eine seelische Erkrankung, die dadurch auffällt, dass die Stimmung so sprunghaft ist. Die kleinsten Sachen führen manchmal zu großen Wutanfällen und Affektstürmen, plötzlichen Ängsten und Rückzug“, sagt Dr. Uwe Wutzler, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Asklepios Fachklinikum Stadtroda.

Signifikant seien die starken Stimmungsschwankungen, die von heftigen Affekten bis hin zu plötzlicher Leere reichen. „Diese Leere ist sehr quälend und kaum auszuhalten, weil man sich kaum mehr spürt und keinen Sinn mehr sieht – teilweise bis hin zu Selbstmordgedanken“. Ist mein Leben lebenswert? Will ich leben? In dissoziativen Zuständen beobachten sich die Betroffenen wie von außen, sind verloren, können sich nicht fühlen; haben keinen Zugang zu ihrem Körper und zu ihren Gefühlen.

Häufig verletzen sie sich dann selbst, um sich wieder zu spüren. Oder sie zeigen ein riskantes Verhalten im Straßenverkehr, sind promiskuitiv, betreiben Glücksspiel oder häufen Schulden an. Auch Essstörungen, wie Bulimie oder Anorexie, sind nicht selten. Egal, ob extrem viel Essen oder Extremsport, - es geht darum, sich zu quälen und zu bestrafen. 


Sprunghaft sind Menschen mit Borderline-Störung auch in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Gerade Liebesbeziehungen werden immer wieder in Frage gestellt. In Auseinandersetzungen mit dem Partner werden die Betroffenen oft sehr verletzend.

Typisch sind so genannte On-Off-Beziehungen, bei denen nie richtig klar ist: Bin ich mit dir zusammen, bin ich nicht mit dir zusammen? „Borderliner halten Nähe und Abhängigkeit nicht aus und schämen sich für ihre Bedürftigkeit, woraus wiederum Leere resultiert. Deswegen können sie Beziehungen und längerfristige Bindungen nur schwer eingehen. Sie sind gleichzeitig die Person, die den anderen möchte und die Person, die das nicht aushält“, beschreibt Dr. Wutzler das Dilemma.

Partner von Borderlinern sollten Zugang dazu haben, dass die Betroffenen Angst vor Bindung und gleichzeitig vor dem Alleinsein haben. „Wichtig ist es, Zugang zu der Angst zu bekommen. Wut und Auseinandersetzungen führen zu nichts. Die Beziehung ist gewollt, aber der Patient hat Angst davor“, unterstreicht der Chefarzt.
In Stadtroda unterstützen Dr. Wutzler und sein Team die Patienten unter anderem darin, mit ihren Affekten besser zurecht zu kommen. Achtsamkeitstraining etwa hilft dabei, die Anspannung besser einzuschätzen.

Beim Skillstraining lernen Betroffene, sich Verhaltensweisen anzulegen, mit denen sie sich wieder runterregulieren können. Einige Klassiker sind: Eiswürfel lutschen, heiß und kalt duschen, gesalzenen Kaffee trinken, China-Salbe unter die Nase schmieren oder sich einen Kirschkern in den Schuh stecken. Wie Dr. Wutzler betont, sollte dies „ein Reiz sein, der einen sofort wieder auf den Boden bringt.“ Es gehe darum, sich zu erden, auch mit Hilfe imaginärer Techniken, etwa jener, bei der man sich einen sicheren Ort vorstellt, an dem man sich wohlfühlt. Trainiert werden auch die sozialen Kompetenzen, um in alltäglichen Konfliktsituationen zu bestehen.

Sowohl in den Einzel- als auch in den Gruppentherapien geht es darum, sich selbst, aber auch die anderen, besser kennenzulernen. Dr. Wutzler erklärt: „Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gehen immer davon aus, dass sie ausgenutzt oder übervorteilt werden. Insofern ist es wichtig, dass sie lernen, andere besser zu verstehen.“

„Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung geht häufig auf die kindliche Entwicklung zurück, wo die Vermittlung: Was denke ich über dich? nicht richtig stattgefunden hat“, sagt Dr. Wutzler. Bei 96 Prozent der Patienten bestehe ein Zusammenhang mit Vernachlässigung, Traumatisierung, körperlicher Misshandlung oder sexuellem Missbrauch. Etwa 75 Prozent der Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung sind Frauen.

Hinsichtlich der Behandlung sollte ein längerer Zeitraum, etwa drei Jahre, in den Blick genommen werden. Stationäre und ambulante Therapie sollten gut ineinandergreifen, um die Prognose gut zu halten.

„Borderliner sind kreativ, flexibel, häufig ehrgeizig und wollen etwas erreichen. Trotz ihrer Eigenheiten haben sie Facetten, die sie für Freundschaften, Beziehungen oder als Arbeitnehmer interessant machen“, resümiert Dr. Wutzler.

Kontakt:

Dr. Uwe Wutzler
Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Tel.: (036428) 56 1234
E-Mail: u.wutzler@asklepios.com

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