Corona-Pandemie als Herausforderung für Jugendliche

Chefarzt Dr. Kroll: Kernthemen der Identitätsbildung geraten ins Wanken

Jugendliche und junge Erwachsene, derzeit vielfach medial als „Generation Corona“ bezeichnet, stehen auch im Saale-Holzland-Kreis angesichts der Corona-Pandemie vor besonderen Herausforderungen. Gerade für die Jahrgänge um Schulabschluss und Ausbildungs- oder Studienbeginn gestaltete sich einiges anders als geplant.

In der ersten Welle bestand viel Unsicherheit hinsichtlich der Abschlussprüfungen, Auslandsaufenthalte konnten teilweise nicht angetreten werden, Universitäten und Hochschulen stellten über Monate auf Online-Lehrveranstaltungen um, Ausbildungsverträge – zumal in der Gastronomie, im Kulturbetrieb oder der Veranstaltungsbranche – platzten teilweise. 

„Vor allem modifizierte Anfänge und Übergänge sind die Bruchstellen, hier wird auch von Entwicklungsnarben gesprochen. Problematisch sind auch die Phasen vor Abschlüssen mit unklarer Anschlussperspektive“, betont Dr. Michael Kroll, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Asklepios Fachklinikum Stadtroda. Schon vor Corona hatte die Gesellschaft für 15 bis 20 Prozent der Schüler keine richtige Perspektive gehabt. „Unser gesellschaftliches Projekt war in dieser Hinsicht ohnehin schon porös. Durch die Pandemie kam dann ein völliger Cut“, sagt der Chefarzt.

Für viele Jugendliche sei alles ins Schwimmen geraten. Zudem sei der Schulalltag vielfach geprägt von einer Atmosphäre der Gleichgültigkeit, frei nach dem Motto: Wir wissen doch noch gar nicht, ob wir nächste Woche noch hier sind oder zu Hause. Schule sei für Jugendliche gleichsam das, was der Arbeitsplatz für Erwachsene sei. Ein Wegfallen des Schulbesuchs komme mithin Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit gleich.

Unter den Bedingungen einer wankenden Perspektive und wankenden Faktoren für Resilienz, also der Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen, müssen junge Menschen aus sich selbst heraus Stärke entwickeln. „Sie müssen trotzdem die Grundfertigkeiten erwerben, obwohl es ihnen im Moment an Perspektiven fehlt“, so Dr. Kroll.

Für ihn ist es daher unverständlich, dass im 8. oder 9. Monat der Pandemie noch nicht an allen Schulen hinreichend Desinfektionsmittel zur Verfügung stehen. Er plädiert für kreative Hygiene-Konzepte hinsichtlich der Unterrichts- und Pausengestaltung. Dass hier bislang zu wenig getan werde, komme einer „schwergradigen Vernachlässigung der Jugendlichen“ gleich.  

US-amerikanischen Studien zufolge berichten junge Menschen seit Beginn der Pandemie verstärkt über depressive Symptome, Angstzustände und steigenden Alkohol- bzw. Drogenkonsum. Das viel propagierte Fahren auf Sicht, das Leben von heute auf morgen in der Corona-Krise, in dem von einem Tag auf den anderen falsch ist, was gerade noch Geltung hatte – es fordert auch und gerade von Jugendlichen Anpassungsleistungen, die zum Teil überfordern. Folgt man der Hypothese, nach der 85 Prozent Derjenigen, die zeitlebens mit psychischen Problemen, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen, zu kämpfen haben, diese bereits vor Erreichen des Erwachsenenalters entwickeln, ist familiärer Rückhalt gerade sehr wichtig.  

Dr. Kroll verweist in diesem Zusammenhang auf „Planet Youth“. Das Isländische Projekt hat gezeigt, dass ein gut strukturiertes Nachmittagsprogramm die Rate von Suchterkrankungen deutlich senkt. Wenn nun im Zuge der Corona-Beschränkungen Vereinssport und andere Freizeitangebote für Jugendliche erneut unterbleiben, fallen manche buchstäblich in ein in schwarzes Loch.

Gerade ältere Menschen, die mit dem Finger auf Jugendliche zeigen und diese als „Superspreader“ schlechthin begreifen, sollten ihre Perspektive überdenken. Ein Erwachsenwerden ohne Partys, Clubs, Konzerte, Kanulager oder Klassenfahrten ist kein Spaziergang. Es fehlen schlichtweg prägende Erlebnisse.

Zudem zeigt die Ende Oktober veröffentlichte Jugendstudie der TUI-Stiftung, dass sich junge Menschen zu 83 Prozent, also mehrheitlich, an die Maßnahmen gegen eine weitere Verbreitung des Corona-Virus hielten. 

Über alle Altersgruppen hinweg sei das Bedürfnis nach menschlicher Nähe oft stärker als jenes Maß an Vernunft, das angesichts der Corona-Pandemie geboten sei, so die Erfahrung von Dr. Michael Kroll. „Gerade Jugendliche sind auf Soziales geprägt, auf das Zusammensein mit Gleichaltrigen“, sagt er. Deshalb falle es vielen auch so schwer, auf Partys und das Treffen von Freunden zu verzichten.

 „Wie werde ich in der Gruppe akzeptiert, wie komme ich an? – das ist eines der beiden Kernthemen der Identitätsbildung bei Jugendlichen“, erklärt Dr. Kroll. Die hierbei so wichtige Resonanzfunktion sei durch soziale Medien nur teilweise zu ersetzen. Ein weiteres Kernthema der Identitätsbildung liege in der beruflichen Orientierung – Wohin entwickle ich mich und wofür? Beides sei derzeit Wanken geraten.

Kontakt:

Dr. Michael Kroll
Chefarzt Kinder- u.  Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik u. Psychotherapie
Tel.: (036428) 56 13 53
E-Mail: mi.kroll@asklepios.com

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