Experteninterview mit Prof. Dr. Niels Reinmuth zur personalisierten Krebstherapie

Die moderne Onkologie setzt auf individuelle Behandlungsansätze. Ein Gespräch mit mit Prof. Dr. Niels Reinmuth, Chefarzt der Thorakalen Onkologie der Asklepios Lungenklinik Gauting und Leiter des Lungentumorzentrums München über die vielversprechenden Möglichkeiten der personalisierten Krebstherapie.

„Die beste Therapie für jeden Patienten“

Dr. Niels Reinmuth
Abb.1: (v.l.n.r.) Prof. Dr. Niels Reinmuth, Chefarzt der Thorakalen Onkologie der Asklepios Lungenklinik Gauting und Leiter des Lungentumorzentrums München

Herr Prof. Reinmuth, die personalisierte Krebstherapie umfasst ein breites Spektrum an Therapieansätzen. Was bedeutet in diesem Zusammenhang „personalisiert“?

Letztendlich geht es darum, nicht einfach allen Patienten eine Standardtherapie zu bieten, sondern sowohl den Tumor als auch die Patienten so gut wie möglich kennenzulernen, damit wir aus der Vielzahl der mittlerweile vorhandenen Therapieoptionen die beste auswählen können. Hier ist die molekular-genetische Untersuchung des Tumors von zentraler Bedeutung. Jeder Tumor weist ein eigenes genetisches Profil auf und auf dieser Grundlage können wir dann eine Therapie maßschneidern – etwa eine Behandlung mit oralen Medikamenten, Chemotherapie oder eine Immuntherapie. Auch zusätzliche Erkrankungen der Patienten müssen bedacht werden. Nicht jeder Patient verträgt jede Therapieform. Das erfordert permanentes Dazulernen. Wir erleben zurzeit eine regelrechte Explosion an neuen Möglichkeiten, Tumore zu untersuchen und die Ergebnisse in die Praxis umzusetzen. Kurz: Personalisierte Krebstherapie heißt also nicht nur den Tumor, sondern auch den Patienten genau zu kennen und die Therapie entsprechend zuzuschneiden.

Was sind die aktuellen Entwicklungen?

Fortschritte sehen wir sowohl bei der Chemotherapie, der Immuntherapie als auch bei der zielgerichteten Therapie, sprich in allen drei Säulen des onkologischen Feldes. Gerade die zielgerichtete Therapie wird derzeit enorm weiterentwickelt. Diese Therapieform beruht auf dem Ansatz, dass es in manchen Tumorgenomen Veränderungen gibt, die den Tumor „antreiben“, sogenannte Treibermutationen. Gegen einige Treibermutationen konnten Medikamente entwickelt werden, die zielgerichtet an diese Veränderungen ansetzen. Ist zum Beispiel bei Tumoren ein Wachstumsrezeptor verändert, senden die Rezeptoren permanent Signale an die Tumorzellen und regen diese zur Teilung an. Diesen Rezeptor kann man mit einem oft oral eingenommenen Medikament gezielt blockieren und so das Wachstum unterbinden. Patienten können damit heute schonend, lange und erfolgreich behandelt werden. Sie zeigen geringe Nebenwirkungen. Das ist ein Riesenfortschritt.

Und was verbirgt sich hinter der Immuntherapie?

Krebs bedeutet ja, dass unser Immunsystem versagt. Der Tumor „verblindet“ das Immunsystem, es bekämpft die Tumorzellen nicht mehr. Die Immuntherapie hebt, grob gesagt, diesen Verblindungsmechanismus auf und lockt Immunzellen an den Tumor. Der Körper wird in die Lage versetzt, mit seinen eigenen Mitteln gegen den Krebs zu kämpfen. Dieser Therapieansatz funktioniert oft gut bei Tumorarten, bei denen keine Treibermutationen vorliegen und eine zielgerichtete Therapie nicht wirkt.    

Wie setzen Sie Ihre Erfahrung und Wissen in der Asklepios Lungenklinik in Gauting um?

Als zertifiziertes Krebszentrum ist es unser Anspruch, unseren Patienten die beste und modernste Krebsmedizin auf Weltniveau anzubieten. Wir beobachten jede sinnvolle und bewährte Neuerung in der Therapie, um neben den Standardansätzen auch die jeweils besten Innovationen zu übernehmen. Wichtig sind dafür die internationalen Studien, an denen wir teilnehmen. Wir arbeiten sehr interdisziplinär, die jeweiligen Fachgebiete treffen sich mindestens zweimal in der Woche, um die Behandlung aktueller Fälle zu besprechen und zu begleiten. All das mit dem eingangs erwähnten Ziel, die beste Behandlung für jeden individuellen Fall, für jedes Tumorstadium, auf die Person zugeschnitten bieten zu können. 

 

Das Interview ist im Dezember 2022 auch in der Sonderbeilage Meine_Gesundheit des Magazins Stern erschienen. 

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