Out of the box: „Deutschlands größte legale Massenveranstaltung“

Dr. med. Klaus Becker, ehemaliger Ärztlicher Leiter des Corona-Impfzentrums Hamburg (IZHH), hat am 21.2.2022 in einer Out of the box-Veranstaltung am Asklepios Campus Hamburg der Semmelweis Universität (ACH) über seine achtmonatige Aufgabe im IZHH berichtet.

Out of the box-Vortrag am Asklepios Campus Hamburg

1 zentrales Impfzentrum, 4 unterschiedliche Vakzine, 6 Verantwortungsbereiche, 6 Ärztliche Leiter:innen, 8 Impfstraßen mit je 8 Impfboxen, 33 Prozent aller Hamburger:innen, 99,7 Prozent Nutzung aller Dosen, 130 Impfungen pro Tag und Ärzt:in, 239 Impftage, 450 Mitarbeiter:innen pro Schicht, 862 beschäftigte Ärzt:innen, 4387 Personen Personal, 11.000 Impfungen in Spitzenzeiten, 570.000 Zweitimpfungen, 610.000 Erstimpfungen, 1.186.917 Impfungen gesamt, 106 Millionen Kosten gesamt – das sind die Kennzahlen, die Dr. Klaus Becker, Emeritus der Onkologie Lerchenfeld und einer der ehemaligen Ärztlichen Leiter des Corona-Impfzentrums Hamburg (IZHH) am 21.2.2022 vorstellte. Damit gab er den Studierenden am ACH im Rahmen eines Out of the box-Vortrags (OTB) einen Eindruck von der Dimension einer beispiellosen Impfaktion von Januar bis August 2021, die in kürzester Zeit und unter Umständen, die heute schon fast historisch anmuten, organisiert und durchgeführt werden musste.

Ein zentrales Impfzentrum für ganz Hamburg

Out of the box-Vortrag am Asklepios Campus Hamburg Dr. Becker
Dr. med. Klaus Becker

Neben den Zahlen und Fakten waren es vor allem die beschriebenen Voraussetzungen und Aufgaben, Hürden und Herausforderungen, die den Out of the box-Vortrag spannend machten. „Es war eine nie dagewesene Aktion und tatsächlich damals in Zeiten von social distancing und harten Kontaktbeschränkungen ‚Deutschlands größte legale Massenveranstaltung“, wie SPIEGEL online im Mai 2021 titelte“, erläuterte Dr. Becker die Überschrift seines Vortrags. Zunächst erinnerte er an die Anfänge der Impfzentren und der mobilen Impftruppen für z.B. Pflegeheime. Nach der ersten Freigabe der Impfstoffe durch die Ständige Impfkommission (STIKO) wurde die Aufgabe dezentral den Bundesländern übertragen. In Hamburg betraute die zuständige Sozialbehörde die Kassenärztliche Vereinigung (KV). Sie nahm für die Logistik kurzerhand das Medienunternehmen Online Marketing Rockstars (OMR) und weitere Dienstleitungsunternehmen mit an Bord. Mit dessen Hilfe gelang es, innerhalb kürzester Zeit in den Messehallen ein einziges zentrales Impfzentrum für ganz Hamburg samt Personal aufzubauen und den Betrieb für die folgenden acht Monate aufrechtzuerhalten.

Ab dem 4. Januar arbeiteten dort verschiedene Bereiche in acht autonomen Behandlungseinheiten (Cluster) Hand in Hand zusammen, u.a. die organisatorische sowie die medizinische Leitung, Notärzt:innen, Sozialbehörde, ein Personaldienstleister, Security u.v.m. „Man hatte das Gefühl, dass alle an einem Strang ziehen“, schwärmte der Referent. „Vor allem die vielen Menschen aus dem Gastro- und Eventmanagement, die aufgrund der Pandemie nicht arbeiten konnten und im Impfzentrum das Care-Team bildeten, sorgten mit ihrer Service-Haltung für eine lockere und entspannte Stimmung. Sie kümmerten sich rührend vor allem auch um die älteren Menschen, von denen nicht wenige aus Erleichterung nach der Impfung erst einmal in Tränen ausbrachen.“

„Hinterher ist man immer schlauer“

Out of the box-Vortrag am Asklepios Campus Hamburg

Aber besonders die dünne Datenlage, die Notwendigkeit einer ständigen Anpassung durch neue Vorgaben der STIKO, die oft mühsame Diskussion um den Impfstoff, die Beratung bei schwierigen und unklaren Fällen, z.B. bei Schwangerschaften, stellten die Verantwortlichen täglich vor neue medizinische Herausforderungen. Dazu kamen Falschmeldungen in den sozialen Medien, die zahlreichen Versuche von Impfdränglern, die vorgegebene Priorisierung zu umgehen, ab und zu lange Warteschlangen im Eingangsbereich wegen eines Notfalleinsatzes, Nachschubprobleme bei Materialien, überfüllte Parkplätze. „Klar ist man hinterher immer schlauer, wenn alles vorbei ist. Aber: Keiner hat gemeckert. Fast alle haben geduldig gewartet, an manchen Tagen bis zu zwei Stunden. Es gab in den acht Monaten nur ganz wenige allergische Reaktionen, nur zwei anaphylaktische Reaktionen mit Krankenhauseinweisung und vor allem keine impf-assoziierten Todesfälle. Mit Abstand die häufigste Nebenwirkung waren psycho-vegetativer Natur, weil der eine oder die andere Angst vor Spritzen hatte oder nüchtern zum Impfen erschienen war. Und das Wichtigste: Im Impfzentrum ist es zu keinem Zeitpunkt zu einem Corona-Ausbruch gekommen“, fasste Dr. Becker die im Impfzentrum gemachten Erfahrungen zusammen.

Mit einem halben Jahr Abstand zog der Onkologe grundsätzlich ein ausgesprochen positives Resümee seines Einsatzes. Trotz der relativ kurzen Vorbereitungszeit sei das IZHH rasch ans Laufen gekommen. Für ihn sei es persönlich die größte Bereicherung gewesen, mit einem konstanten Team einen agilen Prozess zu begleiten und die Impfkampagne strategisch zu entwickeln. Daher beendete Dr. Becker seinen Vortrag mit einem gleichermaßen klaren Fazit und Ausblick: „Es war ein schöner Abschluss meines ärztlichen Lebens. Wir wissen jetzt, wie es geht. Aber gleichzeitig hoffe ich, dass wir alle so etwas nur einmal in unserem Leben erleben. It’s time to start living again.“

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