Blick in die Zukunft: 8. Ringvorlesung über Endoprothetik

Zur 8. Ringvorlesung über die Asklepios Centers of Excellence am 11.10.2018 war Professor Dr. med. Heiko Graichen geladen, um vor Studierenden der Asklepios Campus Hamburg (ACH) über das Thema Endoprothetik zu referieren.

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Professor Dr. med. Heiko Graichen vom Asklepios Fachklinikum Lindenlohe

Zunächst begrüßte Professor Dr. med. Karl-Josef Oldhafer, Repräsentant des Dekans der Medizinischen Fakultät der Semmelweis Universität am ACH, den Referenten und stellte ihn vor. Graichen ist Ärztlicher Direktor an der Asklepios Orthopädischen Fachklinik Lindenlohe. Studiert hat er in Frankfurt am Main, dort ist er groß geworden, war DFG-Forschungsstipendiat in München, später Professor in New York.
 
Im Anschluss begann Prof. Graichen mit seinem Vortrag. Darin stellte er die Klinik vor, die in Ostbayern in der Nähe von Regensburg „mitten im Wald“ liegt und 115 Betten zählt. Das klinge zwar eher klein, sagte Graichen, doch sei die Klinik rein orthopädisch und dafür seien das schon relativ viele Betten. Mit 1400 Endoprothesen pro Jahr ist sie das größte Zentrum für Orthopädie in Ostbayern. 4100 Patienten werden pro Jahr stationär behandelt und 13.000 ambulant. Neben Endoprothetik bietet die Klinik Expertise in den Bereichen Wirbelsäulen-Chirurgie, Traumatologie, Sportorthopädie. Ab April 2019 soll noch Hand-, Plastische und Widerherstellungschirurgie hinzukommen.
 
Prof. Graichen wies auf Weiterbildungsmöglichkeit für Studenten des ACH hin. Er selbst betreue Promotionsarbeiten im Rahmen seiner Tätigkeit am Lehrstuhl der Goethe-Universität in Frankfurt. Daneben vergibt auch sein Kollege Konstantinos Kafchitsas, Chef des Asklepios Wirbelsäulenzentrum Oberpfalz, Promotionsarbeiten. Auch für Famulaturen stehen die Türen in der Klinik offen.

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Wer sich für einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie interessiere, könne sich in Lindenlohe innerhalb von sechs Jahren ausbilden lassen. Fünf Jahre der Ausbildung finden in Lindenlohe statt, das sechste Jahr wird in Kooperation mit der Uni-Klinik in Regensburg absolviert. „Wenn Sie Facharzt für Orthopädie sind, haben Sie schon sechs Jahre hinter sich, dann sind sie aber normalerweise noch immer nicht in der Lage, im operativen Bereich das Fach selbständig zu vertreten“, erklärte Graichen den Hamburger Studierenden. Es gebe noch eine weitere Fortbildung zum speziellen orthopädischen Chirurgen. „Dann haben Sie das Paket zusammen, um irgendwann auch mal eine Abteilung oder ein Haus leiten zu können.“
 
In seinem eigentlichen Vortrag über die Endoprothetik kam Prof. Graichen zunächst auf die sogenannte Navigation zu sprechen, die sein Haus seit einigen Jahren bei Prothesen im Kniegelenk benutze. Das sei eine Technik, die es seit etwa 15 Jahren gebe. „Ein Hilfsmittel, wie beim Autofahren“, verdeutlicht es der Orthopäde. Mit Hilfe von Infrarotreflektoren wisse der Computer, in welcher dreidimensionalen Position der Unterschenkel und der Oberschenkel seien und wie sie sich zueinander bewegten. „Das hat die Qualität und die Patientenzufriedenheit sehr verbessert und wird es in den kommenden Jahren auch noch weiter tun“, erläuterte der Referent.
 
Das Problem bei Knieprothesen sei die Patientenzufriedenheit, die allgemein sehr viel niedriger ausfalle, als bei Hüftprothesen. Während sie bei der Hüfte etwa bei 95 Prozent liege, seien es beim Knie nur 80 bis 90 Prozent. Deshalb bezeichnete Prof. Graichen die neue Technik mit Navigation den „Kampf um 100 Prozent“. Und es sei nicht nur die subjektive Zufriedenheit – auch die objektiven Daten seien noch nicht gut. 50 Prozent der Knieprothesenrevisionen würden bereits in den ersten zwei Jahren nötig. „Das heißt, irgendwas im OP ist bisher noch nicht so ganz perfekt, dass wir immer noch so viele Probleme in den ersten zwei Jahren haben“, erklärte Prof. Graichen und liefert umgehend eine Erklärung dafür, dass die Probleme speziell beim Knie auftreten. „Während das Hüftgelenk ein relativ einfaches Kugelgelenk ist, ist das Kniegelenk biomechanisch schon ein deutlich anspruchsvolleres Gelenk, mit Translation (Parallelverschiebung) und Rotation (Drehung).“ Außerdem habe es deutlich mehr Schmerzrezeptoren und liege näher unter der Haut. „Das sind alles Gründe dafür, warum es nicht so verzeihlich ist, wenn man das Implantat nicht ganz präzise einbaut.“ 
 
Tatsächlich sei die neue Technik mit Navigation sehr erfolgreich, berichtete Prof. Graichen. „In Vergleichen hat man festgestellt, dass bei einer konventionellen Knie-TEP Operation sich eine Achsabweichung von mehr als drei Grad postoperativ bei einem von vier Knien nachweisen lässt. Wenn Sie es navigieren, ist das nur bei einem von 20 der Fall.“ Zudem hätten australische Forscher 2015 gezeigt, dass die Überlebensrate der Knieprothese mit Navigation insbesondere bei jüngeren anspruchsvollen Patienten deutlich besser sei.

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Bislang kommt die Navigation vor allem in der Neurochirurgie zum Einsatz. In der Orthopädie kommt es bei der Wirbelsäule, der Hüfte und vor allem eben beim Knie zum Einsatz. Dennoch gebe es auch ein paar Hürden zu überwinden, sich ganz auf diese Technik einzustellen, so Prof. Graichen in seinem Vortrag.
 
Da ist zum einen die Operationszeit, die am Anfang noch deutlich länger sei. „Es dauert, bis sich das ganze Team daran gewöhnt hat, aber nach 30 bis 50 Fällen sind sie in der Operationszeit dann gleich“, berichtete der Referent vor den interessierten Studierenden. „Vor der Navigation haben wir im Schnitt 87 Minuten pro OP gebraucht, heute sind wir mit Navigation 25 Minuten schneller. Das liegt auch daran, dass wir es so häufig machen.“
 
Ein weiterer limitierender Faktor seien die Kosten eines Navigationsgerätes. Eine Maschine koste etwa 100.000 Euro, das Verbrauchsmaterial pro Operation liege bei etwa 100 Euro, darüber hinaus schlage die Software mit 15.000 Euro zu Buche. „Das investiert man als Konzern nicht, wenn es nicht einen Mehrwert hat“.
 
Doch den habe es für die Klinik in Lindenlohe ohne Zweifel. „Viele Kliniken scheuen die lange Lernkurve und den damit verbundenen Zeitaufwand. Deshalb lohnt es sich auch nur für Kliniken, die auch wirklich häufig Knie-Endoprethetiken einsetzen“, zeigte sich Graichen überzeugt. „Wir navigieren tatsächlich jedes Knie, weil wir von der Methode überzeugt sind. Es ist nachgewiesen, dass es bessere klinische Ergebnisse liefert.“
 
Zum Schluss wagte Graichen noch einen Blick in die Zukunft. Weil bei neurochirurgischen Operationen äußerste Präzision extrem wichtig sei, stehe bei diesen Operationen häufiger auch ein MRT im OP, so dass Bilder und Navigation permament abgeglichen werden könnten. „Die Orthopädie ist deutlich weniger komplex als die Neurochirurgie“, so Prof. Graichen. Heute gebe es Möglichkeiten, die Navigation zu vereinfachen. Zum Beispiel mit einem Palpierstab, der vier anatomische Punkte abtaste und die Informationen an den Computer übermittle. Der wisse dann, in welcher Achse das Knie stehe. „Das geht inzwischen auch mit iPod“, so Prof. Graichen begeistert. „Man spart sich dann den großen Monitor.“ Er glaube sogar daran, dass Chirurgen bald nur noch eine Art Google-Glass vor Augen hätten, auf denen sie sehen könnten, was sonst auf dem Monitor sichtbar wäre. „Wir werden die Technik behalten, aber wir werden wahrscheinlich freier werden von diesen ganzen großen Maschinen.“
 
Fest überzeugt ist der Orthopäde auch davon, dass es zu einer Verschmelzung von Navigation und Robotik komme. „Es wird nicht mehr so sein, dass wir jeden Sägeschnitt machen, sondern es wird so sein, dass der Roboter den Sägeschnitt macht.“ Noch müssten die Chirurgen die Maschine steuern, das heißt die Implantatposition planen und damit die Position angeben, in der sie sägen soll. „In der Industrie 6.0 bin ich mir nicht ganz sicher, dass wir da auch noch gefragt sind. In den nächsten zwei Jahrzehnten werden wir aber sicher dem Computer noch Anweisungen geben müssen“, stellte der Referent abschließend fest.

 

Nächste Ringvorlesung:

11. November 2018 mit Dr. Raabe aus Birkenwerder zum Thema Diabetologie

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